2. Mai 1888 – der Countdown läuft, am 15. Juni wird Kaiser Friedrich III. von
Preußen sterben.
Im Drei-Kaiser-Jahr hat der enterbte Adlige Gabriel Landow einen gefährlichen
Auftrag als Sonderermittler übernommen. "Gabi" soll den Weg von
versiegelter Kurierpost überprüfen und muss dabei feststellen, dass für den
Besitz der Kuriertaschen rücksichtslos gemetzelt und gemordet wird. Für den
Sohn eines ostpreußischen Gutsbesitzers hat Gabi einen bemerkenswerten Abstieg
hingelegt. Er lebt für ein paar Mark Miete in Berlin-Britz in der Dachkammer
der Pension Koester und geht gemeinsam mit Koester, seinem ehemaligen
Kriegskameraden (1870/71), dubiosen Geschäften nach. Gabi ist nichts peinlich,
mit dem er Geld verdienen kann. Als einträglichen Umschlagplatz für
Nachrichten und Gerüchte nutzt er den Friseursalon Dorn, in dem Beamte aus den
Ministerien Kunden sind. Dorn schuldet Gabi Landow noch etwas und in seinem
Salon werden Informationen in allen Richtungen verkauft. Koester hat eine
homosexuelle Beziehung zum "Feinen Franz", der emsig Englisch lernt,
um auszuwandern. Auf der Rennbahn Hoppegarten beobachtet der Taschendieb Orsini
die Übergabe einer versiegelten Aktenmappe. An anderer Stelle wird ein Kurier
tot auf einem Truppenübungsplatz gefunden, mit einem Buch in der Hand. Als
wäre das nicht kompliziert genug, geschehen in der Stadt offenbar Serienmorde
an Frauen, die der Öffentlichkeit verheimlicht werden.
Derweil findet auf Gut Landow, das Bruder Perikles Landow samt dazugehörigem
Parlamentssitz geerbt hat, ein vertrauliches Treffen statt, bei dem es um
Ausrüstung für den modernen Krieg geht. Banker und Vertreter von Konzernen
sind in Gabriels Elternhaus versammelt. Sie alle verdienen mit Forschung für
chemische Kriegsführung oder mit der Konstruktion von Waffen und Fahrzeugen ihr
Geld. Gabi und seine Berliner Kumpane ahnen nicht, dass die Herren im feinen
Zwirn den nächsten Krieg vorbereiten.
Mehrere Handlungsstränge lassen Simons Leser lange darüber rätseln, um welche
wertvolle Kurierpost es sich bei seinem Auftrag handelt, wer hier Krieg um
Informationen führt, und warum Gabi unehrenhaft aus der Armee entlassen und
enterbt wurde. Der missratene Gabi ist durch seinen Auftrag offenbar zwischen
die Fronten von mysteriösen, halbseidenen und mafiösen Ereignissen geraten und
entdeckt, was seine Auftraggeber unbedingt verheimlichen wollten. Der ehemalige
Artist Orsini gibt als Sidekick des Protagonisten eine faszinierend
wandlungsfähige Figur ab, ohne die der verwickelte Plot nicht denkbar wäre.
Axel Simon zeigt seinen Lesern mit Gabriel Landows Lebensumständen zurzeit des
deutschen Kaiserreichs sehr direkt Berlins dunkle Ecken und Hinterhöfe, sowie
die schmuddeligeren Geschäfte, mit denen mancher Zeitgenosse sich
durchschlägt. Vom Pferdefuhrwerk, dessen Weg in preußischen Meilen gemessen
wird, bis zum Plumpsklo im Hinterhof wird alles geboten.
Fazit
Axel Simons historischer Krimi "Eisenblut" spielt im Sommer 1888 und
ist Auftaktband einer im deutschen Kaiserreich angesiedelten Serie. Der Roman
punktet mit sorgfältiger Recherche, atmosphärischer Darstellung und richtet
sich an Leser, die die in jeder Hinsicht dreckigeren Seiten des Kaiserreichs
tolerieren.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 31. März 2020 2020-03-31 09:18:53