Um was sich die Welt eigentlich dreht
Wer Morris Vorgängerwerk "Wer regiert die Welt?" gelesen hat, der
wird in diesem neuen Werk eine kongeniale Fortsetzung finden, die ebenso
flüssig und erzählerisch verfasst ist, wie sie inhaltlich fundiert und den
Leser packend vor Augen liegt. Ein als gelungen zu bezeichnender Versuch,
"zu erklären, wie die rohen, materiellen Kräfte unsere Kulturen, Werte
und Überzeugungen prägen".
Wobei Morris durchaus einsichtig darauf verweisen kann, dass grundlegende Werte
wie "Fairness, Gerechtigkeit, Liebe und Hass, Selbstschutz und das
Empfinden von Heiligkeit" seit rund hundertausend Jahren bereits in der
menschlichen Kultur prägend angelegt sind. Werte, die immer ein ziemliches
stückweit in Reibung zu den wirtschaftlichen Folgen wie Gier, Egoismus, Gewalt,
Krieg und dem allgemeinen Bestreben des Menschen standen, für sich das je Beste
herauszuholen.
Wobei in der technischen Entwicklung und der wirtschaftlichen
"Evolution" hierbei immer feinere Methoden der Vorteilsnahme
entwickelt wurden und sich um die "Quellen der Energie" drehten (oder
besser, die Quellen persönlichen oder gesellschaftlichen Reichtums). Dass
"Energiegewinnung" im weitesten Sinne dabei der Hauptantrieb der
Entwicklung ist und wie diese die kulturellen Werte mehr und mehr mitgeprägt
hat, das liest sich überzeugend im Werk.
"Jedes Zeitalter gelangt dabei zu den Werten, die es braucht".
Menschen passen ihre Werte, mit denen sie ihre Gesellschaften und Kulturen fest
und sicher ausstatten, an das sich je verändernde gesellschaftliche Umfeld an,
um ihre Wirksamkeit (jener Werte) zu maximieren. Wobei es interessant zu lesen
ist, dass egalitäre Wertvorstellungen als bestimmende Werte in alten
Gesellschaften der "Jäger und Sammler" zu finden sind (die das
"Teilen" in den Vordergrund stellen, um gemeinsam und als Individuum
beste Chancen auf das Überleben herzustellen), während die "fossile
Phase", welche die Gegenwart prägt, durch eine einerseits menschliche
Toleranz geprägt wird, aber auch durch eine hohe Tolerierung eine ungleiche
Verteilung von Ressourcen und materiellen Gütern.
Wobei es natürlich am Ende mit einer mehr oder weniger offenen Frage endet, ob
sich (gegen die eigennützigen Lügen der Eliten) moralische Haltungen (noch
einmal) durchsetzen oder das Recht allein des Stärkeren auf Dauer bestimmend
als Wert durchsetzen wird.
Fazit
Wie in "Wer regiert die Welt" endet Morris mit einem Ausblick, einer
Prognose für die Zukunft, der man sich anschließen kann oder eben nicht, die
aber hier nicht vorweggenommen werden soll. Womit im Übrigen das Werk noch
nicht endet, denn drei anerkannte Wissenschaftler und eine prominente
Literatur-Autorin bringen Ihre Sicht der Dinge mit ein in die Diskussion, die
Morris anstößt.
Sodass im Gesamten für den Leser am Ende ein breiter und tiefer Überblick
über die "kulturelle Wert-Geschichte" im Raum verbleibt und eine
ebenso breite und differenzierte Sicht auf die mittelfristigen Möglichkeiten
der Zukunft erfolgt. Auch wenn ein Titel eines Kapitels wie "Wenn die
Lichter ausgehen" den am Ende konstruktiven Ansatz des Werkes (auch dieses
Kapitels) ein wenig konterkarieren.
Eine beeindruckende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 12. Februar 2020 2020-02-12 17:00:15