Als ich sah, dass es wieder einen neuen Roman von Pascal Mercier gibt, war ich
erfreut und musste unbedingt wissen, wie er sich nach mehreren Jahren ohne
Mercier lesen wird. Wer möchte kann gerne meine alten Empfehlungen zu
"Perlmanns Schweigen" und "Der Klavierstimmer" hier auf dem
Blog lesen. Immerhin sind das die seit Jahren am meisten gelesenen Rezensionen
hier.
Zum Inhalt des vorliegenden Buches: Simon Leyland, Übersetzer, Sprachfanatiker
und Verleger, hat in England das Haus eines gerade verstorbenen Freundes geerbt.
Er selbst lebte jetzt seit vielen Jahren bereits im italienischen Triest. Das
Leben hatte ihm schöne und auch katastrophale Zeiten beschert, Zeiten, in denen
er Rückschläge hinnehmen musste. Um das Erbe in England anzutreten, reist er
dorthin, lernt den Nachbarn seines Freundes kennen und besucht ein langjährig
befreundetes Verlegergespann von Mutter und Sohn. Das jetzt neu Erlebte und
seine Erinnerungen über die Vergangenheit lassen neue Entscheidungen in ihm
reifen.
Meine Meinung: Der Roman spielt in einem Metier, in dem es um Bücher, im
engeren Sinne um Worte, Sätze und Sprachen, geht. Das ist nicht neu für
Mercier. Im Gegenteil, er bleibt sich treu. Die Geschichte von Simon Leyland
setzt sich aus 1000 Puzzleteilen zusammen. Sie erschließt sich auf vielfachen
Wegen. Vieles erfährt der Leser über innere Monologe des Protagonisten, über
seine Reflektionen des Gegenwärtigen und in der Vergangenheit Geschehenen.
Bewegungsvolle Handlungsstränge sind nie das Metier dieses Schriftstellers
gewesen. Doch die Methoden, die er anwendet, um dem Leser die Gedanken der
Hauptfigur nahezubringen, sind sehr unterschiedlich. Das können mal Dialoge
sein, in denen eine Figur einer anderen etwas erzählt, oder es sind Briefe, die
geschrieben worden sind und nun wieder hervorgeholt wurden. Man wird immer
wieder überrascht, was Simon in seinem Leben passiert ist und wie er damit
umgeht. Man taucht ab in eine Welt, die einfach nur fasziniert.
Das Gewicht der Worte
Für mich ergab sich die Spannung daraus, was noch geschehen würde. Mich
interessierte die Figur, aber auch der Umgang von ihr mit den anderen Figuren im
Roman, mit Freunden, Bekannten und Verwandten. Für manch einen Leser mag diese
Art Roman durchaus langweilig erscheinen, zumindest langatmig. Er wird nicht
umsonst vom Verlag als philosophischer Roman präsentiert.
Was mir allerdings gegenüber seinen früheren Romanen, der bekannteste ist wohl
"Nachtzug nach Lissabon", fehlte, war das Erkennen eines Ziels gleich
zu Beginn. Man beobachtet den Protagonisten ohne zu wissen, was er will. Anders
war es zum Beispiel bei seinem Protagonisten Philipp Perlmann. Dieser hatte den
Auftrag, eine Arbeitskonferenz durchzuführen, in der eine wissenschaftliche
Arbeit erstellt und diskutiert werden sollte. Im Laufe des Romans spürt man
Perlmanns Scheitern stetig näher kommen und man wird von neuen Katastrophen
überrascht. Ein solches Ziel fehlt im vorliegenden Roman. Zwar baut sich immer
wieder etwas auf, was zu einem Höhepunkt führt, aber dessen Auflösung erfolgt
immer mal wieder zwischendurch. Das ist etwa so, als würde man mehrere Teile
lesen. Spannend bleibt einfach das gesamte Leben des Simon Leyland.
Fazit
Der innere Monolog inklusive eines unendlich langen nach Nachrufs auf liebe
Menschen im Leben Leylands lassen mich den Roman wie "eine erzählerische
Meditation darüber, wie es ist, ein Mensch unter anderen Menschen zu sein und
sich in vielfältige Beziehungen mit ihnen zu verstricken", erscheinen, um
es mit Merciers eigenen Worten zu sagen.
Mir hat der Roman hervorragend gefallen, aber er wird nicht jedermans Sache
sein, denn er ist keine leichte Kost für Urlaubsleser. Dafür geht es viel zu
sehr um das Leben und die Menschen an sich.
Vorgeschlagen von Detlef Knut
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veröffentlicht am 01. Februar 2020 2020-02-01 14:35:48