Der pensionierte englische Immobilienmakler Alan Querry plant in beißender
Winterkälte einen Besuch bei seiner jüngeren Tochter Vanessa, die schon lange
in Upstate New York in den USA lebt. Die Familiengeschichte der Querrys ist
geprägt vom frühen Tod von Alans Frau, dem Heimaufenthalt seiner betagten
Mutter und einer Vorgeschichte von Depressionen bei Alans Vorfahren. Alan lebt
inzwischen mit einer erheblich jüngeren Partnerin zusammen, die ihn spürbar
vor Alter und Einsamkeit bewahrt. Die ältere Tochter Helen arbeitet in der
Musikbranche, ist trotz kleiner Kinder beruflich oft in New York und hat
geschickt ein Familientreffen bei Vanessa und ihrem Partner geplant. James Wood
erzählt detailreich und empathisch über die Querrys und erzeugt so den
Eindruck, seine Leser würden authentisch in allen Einzelheiten über die
Familie informiert. Doch beim Lesen schleicht sich der Eindruck ein, dass sich
unter Woods leicht ironischem Ton etwas Düsteres verbirgt, das ein
Familienbesuch allein nicht lindern wird.
Alans Erinnerungen an seine Kindheit in Newcastle drehen sich u. a. um bittere
Armut. Seine Mutter und Großmutter hatten sich gegenseitig in eine Depression
getrieben und wenn Vanessa über ihre Arbeitsbelastung klagt, ist das für ihren
Vater stets ein Warnzeichen, dass sich Schlimmeres anbahnen könnte. Sein
Familienbesuch hat offenbar den ernsten Hintergrund, dass Alan sich an Ort und
Stelle überzeugen will, ob es Vanessa gut geht, genauer, ob es ihr in den USA
mit diesem Arbeitsplatz und diesem Lebenspartner gut geht. Auch Vanessa hat eine
Vorgeschichte von Zusammenbrüchen, die beim genaueren Hinsehen einseitig zu
Lasten ihrer älteren Schwester gingen. Helen setzte sich bei Vanessas
Schuldirektorin für sie ein, half und organisierte und war fortan auf die Rolle
der stabilen, willensstarken Schwester festgeschrieben. Wie unterschiedlich
Alan seine Töchter bis heute behandelt, könnte noch immer Sprengstoff für
eine Familienkrise bereithalten.
James Wood führt seinen alternden Protagonisten in ein Land, in dem zwar
oberflächlich gesehen auch Englisch gesprochen wird, tatsächlich sieht Alan
sich einer völlig anderen Kultur gegenüber, an der er allerlei zu kritisieren
hat. Alan muss sich mit seinem Altern auseinandersetzen und allmählich damit,
dass aus seiner Sicht für seine jüngere Tochter offenbar nie ein Mann gut
genug sein konnte. Helen arbeitet in einer Branche, um die man sie beneiden
könnte, die ihr als Mutter kleiner Kinder jedoch gerade den Teppich unter den
Füßen wegzieht. Vanessas Partner Josh stellt die Verknüpfung zur Szene der
jüdischen Intellektuellen in den USA dar und symbolisiert damit letztlich die
Unvereinbarkeit zwischen Briten und Amerikanern.
Fazit
James Wood schreibt teils poetisch, teils so authentisch wirkend, dass ich mir
unbedingt wünschte, genauso müssten die Ereignisse gewesen sein. Er zeigt eine
von Depressionen beherrschte Familienkonstellation als höchst labile Beziehung,
die sich auf den Pfeiler psychische Erkrankung stützt und beim kleinsten
Windhauch aus dem Gleichgewicht geraten kann. Bildhafte
Landschaftsbeschreibungen, psychologische Tiefe und besonders die berufliche
Situation der Querrys fügen sich zu einem dicht erzählten Roman, den ich
uneingeschränkt empfehlen kann.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 22. Januar 2020 2020-01-22 11:09:09