Agatha Christie gilt als bekannteste Schriftstellerin Großbritanniens. Jedoch
wird der bekanntesten Vertreterin des klassischen Rätsel- oder
"Häkelkrimis" meines Erachtens zu recht vorgeworfen, den Leser mit
ihren Lösungsvorschlägen bisweilen in die Irre zu führen. Dieser Vorwurf
trifft für den vorliegenden Fall meines Erachtens voll zu. Eines Tages lesen
die Bewohner eines kleinen Ortes in der Zeitung, dass am Abend in ihrer
Nachbarschaft ein Mord stattfinden soll. Natürlich denken alle an ein
klassisches Mörderspiel und finden sich unter allerhand Vorwänden bei der
Gastgeberin ein. Natürlich findet dann tatsächlich ein Mord statt - und es
bleibt in diesem Krimi nicht nur bei einem Mordfall...
Doch wie hat Bertold Brecht postuliert: "Der gute englische Kriminalroman
ist vor allem fair. Er zeigt moralische Stärke. To play the game ist
Ehrensache. Der Leser wird nicht getäuscht, alles Material wird ihm
unterbreitet, bevor der Detektiv das Rätsel löst. Er wird instandgesetzt, die
Lösung selber in Angriff zu nehmen." Diese vielzitierte Äußerung des
bekannten Literaten zitiere ich hier aus Jochen Schmidts hervorragendem Buch
"Gangster, Gauner Detektive", der meiner Meinung nach bis heute besten
Darstellung der Geschichte des Genres.
Schmidt fährt aber kritisch fort: "Just das ist bei vielen Fällen der
Christie die große Frage". Zwar löst auch hier Miss Marple den Fall mit
sprichwörtlicher Neugier und Inspiration, aber fair ist dieser Krimi in keinem
Fall. Wer das Strickmuster der Christie kennt, ahnt schon: die am wenigsten
verdächtigte (Haupt-)person dürfte der Täter sein - die Begründung kann man
sowieso nie erraten. Genauso ist es hier. Ich hatte den Täter relativ schnell
erraten, aber die Lösung - obwohl ich das Buch zweimal gelesen und die neue
dreiteilige äußerst buchgetreue Verfilmung im Fernsehen gesehen hatte - nicht
gefunden oder erraten. Sie kann nicht erraten werden, weil Agatha Christie dem
mitratenden Leser zu viele Fragen schlicht vorenthält. Hier lobe ich mir - bei
allen Schwächen - einen Ellery Queen, der an einer bestimmten Stelle seiner
Romane den Leser darauf hinweist, dass er jetzt zur Lösung des Falles alle
relevanten Informationen besitzt - dies fehlt bei Agatha Christie völlig.
"Im Prinzip sind Agatha Christies rund achtzig Romane... nach immer
derselben Masche fast maschinell gehäkelt" - so kritisiert Jochen Schmidt.
"Die Probleme ähneln sich, die Fragen bleiben sich gleich: Wer, unter
einer ganzen Handvoll von Verdächtigen, hatte die Möglichkeit, die Tat hzu
begehen; zuzutrauen wäre es allen. Alibis müssen geknackt werden...selbst die
Mordmotive bleiben sih gleich: Geldgier oder Eifersucht, gelegentlich auch
Rachsucht". Genau dies geschieht auch hier. Gerade bei vorliegendem Fall
handelt es sich um einen äußerst vorhersehbaren Kriminalroman, so dass ich
Schmidts Fazit zustimmen muß: "Schwer zu sagen, worauf der einzigartige
Erfolg dieser Schriftstellerin beruht" - ich verstehe es - gerade beim
vorliegenden Kriminalroman leider nicht.
Fazit
Durchschnittlich, aber nicht gut.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 29. Mai 2004 2004-05-29 17:30:19