Ulrich Wickert, ein erfahrener Journalist und zugleich weltbeflissener
Querdenker, fordert uns nicht zu Unrecht auf: Identifiziert euch! Das meint: wo
wollt ihr hingehören, was ist eure Heimat? Er greift eine brandaktuelle
Diskussion auf, die wenig sachlich, um so emotionaler geführt wird. Passen
"Heimat" und "Heimatgefühl", alleine schon sprachlich in
unsere (gemeint ist hier "deutsche") demokratische Landschaft?
Aufgrund seiner Biographie nimmt Ulrich Wickert das Thema als Weltbürger unter
die Lupe. Begriffe wie Identität, Heimat, Heimatgefühl, Volk und Nation
spielen in den verschiedenen Kapiteln die tragende Rolle und werden vom Autoren
genauer betrachtet. Er betrachtet es aus seiner Sicht als Kosmopolit: geboren in
Tokio, mit 4 1/2 Jahren umgezogen nach Deutschland, später in Frankreich und
immer wieder in den USA tätig, zeigt er Nähe und Distanz zugleich zu seinem
Land, Deutschland. Eine immer wieder kritische Betrachtung.
Zusammenhalt, bewusst werden der eigenen Identität mit einem besonderen Fokus
auf das, was die Menschen innerhalb eines Landes verbindet und verbinden muss:
die Sprache. Und in der Tat er liebt und beherrscht sie, die deutsche Sprache!
Schlussendlich ein Plädoyer für die Zukunft: Wickert beschreibt, wie seine
Forderung nach Identität umzusetzen ist. Er plädiert für eine humane,
demokratische Gesellschaft.
Fazit
Ulrich Wickert präsentiert mit dem vorliegenden Buch seine großartigen
Fähigkeiten als welterfahrener Journalist und Denker. Gut zu lesen, präzise
formuliert und stets abwechslungsreich, präsentiert er ein interessantes,
zeitgemässes Thema. Gerät unsere Demokratie doch zunehmend in den Mittelpunkt
einer kritischen Diskussion. Eindrucksvoll beschreibt und erklärt er, warum
gerade wir Deutschen vor dem Hintergrund unserer Historie uns so schwer mit
traditionellen Begriffen wie Identität und Heimat tun. Er spart durchaus nicht
mit Kritik an der Politik, allen voran den Regierungspolitikern. In sprachlich
geschliffener Form beschreibt er seine Sichtweise und begründet sie. Das Buch
zu lesen ist hochinteressant und aufschlussreich.
Dennoch: wenige Menschen werden die Erfahrungswelt eines Ulrich Wickert in ihrem
Lebenslauf haben. Somit ist ein Teil seiner kosmopolitischen Sicht nicht immer
leicht nachzuvollziehen. Hier dürfte der von ihm häufig zitierte ehemalige
Bundespräsident Joachim Gauck mit seiner gelehrten Bodenständigkeit in Bezug
auf Toleranz als zentralen Wert einer demokratischen Gesellschaft den Menschen
näher sein. Hier und da bin ich auch mit Sachargumenten nicht ganz einig:
Entscheidet er sich einerseits im Zweifel für den US-amerikanischen
Freiheitsbegriff mehr, als für die Gleichheit im deutschen Sinne, so verwundert
es, wenn wenig später ein Plädoyer für die Einführung einer Schuluniform
folgt. Sie sorgt doch für Gleichheit herrscht und nicht der Markenname der
Alltagskleidung weniger betuchte Familien in Verlegenheit bringt. Schon richtig,
aber was denn nun?
Ganz nebenbei: Wickert beschreibt ein "protestantisches Deutschland"
(vgl. S. 149). Wie lange liegt das zurück? Den aktuellen Zahlen zufolge ist
Deutschland atheistisch (über 37% der Bürger gehören keiner Konfession an)
und bei den christlichen Konfessionen folgen die Katholiken vor den
Protestanten. Diese beiden Beispiele sollen nur zeigen: gerade wenn Argumente
sehr geschliffen daher kommen, sollte die Wachsamkeit des Lesers um so mehr
gefordert sein!
Nichts desto trotz kann ich dem abschließenden Gedanken zu einer humanen
Gesellschaft der Zukunft nur uneingeschränkt zustimmen. Das neue Wir ist
längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen und es liegt an uns, was wir
daraus machen. Unser Grundgesetz sagt es gleich zu Beginn ganz deutlich: die
Würde des Menschen ist unantastbar! Letztendlich sind wir alle aufgefordert
klar und entschieden diesem Grundsatz zu folgen. Integration bedeutet die
Bereitschaft, vielen Menschen eine Heimat zu geben. Denen, die mit unserer
"Deutschen Geschichte hadern" ebenso, wie denen, die sich aufgrund
ihrer Wurzeln in unsere Gesellschaft integrieren wollen und bereit sind, unser
Grundgesetz zu achten und zu befolgen.
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
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veröffentlicht am 04. November 2019 2019-11-04 07:35:42