Packt einen tief
Auch wenn nach wenigen Seiten bereits das Drama geschehen ist und Terje mit
seinem Auto, aus dem Nichts heraus, wie es scheint, zielgerichtet den LKW auf
der Gegenfahrbahn ansteuert, der Weg dahin, ein gesamtes Lebensresümee, das ist
überaus lesenswert, was Tiller da an Rückblicken dem Leser intensiv mit auf
den Weg gibt.
Die Mutter, die zunächst einfach nur ein wenig sehr "bemutternd"
erscheint. "Mein Gott, Du bist fast 50. Ich mache es selbst" (einfach
nur ein paar Blumen für eine Vase fertig machen). Und doch wankelmütige
Gefühle in sich trägt, nach dem Tod ihres Mannes auch hier und da versucht,
nochmal auf die "Sonnenseite" des Lebens zu gelangen (aber nicht, wenn
Terje da mitzureden hat, denn der gezielte Unfall ereignet sich auf dem Rückweg
von einer eigentlichen "Mission" zum Geraderücken des gemeinsamen
Lebens mit der Mutter) und dabei ein teils klägliches Bild abgibt. Oder liegt
es an Terje? Wie bei dem damaligen Freund seiner Schwester, den er mit seinem
Kumpel zusammen auch mal sich so richtig vornimmt.
Also, richtig sympathisch ist dieser Terje nicht. Erst nun, auf dem Bett auf der
Intensivstation, reflektiert er, was er da eigentlich gelebt hat. Und öffnet
ein weites Bild auf die moderne Welt und den modernen Menschen, auf ein Leben,
das vor sich hin gleitet, das kaum absolute Leidenschaften kennt, in dem
Langeweile auch nicht selten den Ton vorgibt und in dem Beziehungen "aus
dem Bauch heraus", wie in einer langen Pubertät bis weit ins mittlere
Alter hinein, gestaltet werden. Ohne dass diese wirklich gelingen dadurch. Und
doch hält man aneinander, eng sogar.
"Ich sah sie an und lächelte, aber sie lächelte nicht zurück, ihr
Gesicht zeigte überhaupt keine Mimik. Sie sieht mich nicht einmal an, dachte
ich".
Denn auch wenn das dadurch erklärbar ist, dass Terje zu diesem Zeitpunkt weit
in sich selbst zurückgezogen nurmehr existiert, es ist doch ein Bild auch für
dieses hin- und her wankende Leben, dass der Mann und Journalist führt und das
Tiller wie nebenbei und entspannt mit klaren Sätzen und klarer Sprache erzählt
samt all den allgemeinen und situativen Ungereimtheiten, die dieser Terje in die
Welt setzt, Tag für Tag.
"Ich fing an zu lachen, klang aber nicht so echt, wie ich gewollt
hätte". Weil so oft Rollen gespielt werden, weil Terje die Kunst der
doppeldeutigen Botschaft und der versteckten Intentionen pflegt, weil er gerne
nahe tritt, aber ohne dafür belangt werden zu können, Was im Übrigen auch
für die Liebe in seinem Leben gilt.
Immer haarscharf am Eigentlichen vorbei, das ergibt sich mehr und mehr als roter
Faden dieses Lebens bis hin zum Ende, nicht nur des Buches. Was durch Tiller als
nochmaliger Höhepunkt in den Raum der Seiten gesetzt wird, denn wie her das
letztliche Sterben intuitiv und intensiv geschildert wird, wie Terje sich von
außen da liegen sieht und zugleich wie eine Fruchtfliege dem Leben nochmal
einen neuen Geschmack abringt, wie die Liebe zueinander findet kurz bevor es zu
spät ist und wie sein Vater noch einmal eine tragende Rolle im Leben einnimmt,
die Terje lange an die Seite gedrängt hat, das lässt den Leser am Ende
erschüttert zurück.
Vom ersten Atemzug bis zum letzten reicht diese Lebensbeschreibung, von innerer
Unruhe und Aggression, von ein paar zärtlichen, tiefen Momenten bis hin zu
diesem ständigen Gefühl, nicht wirklich zu reichen, nicht anzukommen, nicht
das zu leben, was möglich wäre, sondern oft nur das, was impulsiv durch
schwierig geprägte Emotionen an die Oberfläche schwappt. Bei dem Terje schon
als Kind symbolhaft den Eimer im frisch gestrichenen Zimmer umwirft, als Bild
für sein Leben, in dem Terje so oft knapp daneben tritt und sich,
augenscheinlich, viel zu lange gar nichts daraus macht.
Fazit
"'Kann solche Typen nicht ausstehen', sagte ich, schloss das Fenster und
setzte mich".
Erst spät wird Terje erkennen, was der Leser schon nach den ersten 20, 30 Seite
spürt: Dass Terje genau ein solcher Typ ist. Bis es eigentlich zu spät ist.
Das Ganze hervorragend geschrieben, flüssig und emotional dicht vor die Augen
geführt, ergibt eine sehr empfehlenswerte Lektüre, die das Leben der Moderne
bestens mit reflektiert.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 08. Juli 2019 2019-07-08 11:42:03