Atmosphärisch dicht, teilweise gar spannend und einfühlsam geschrieben
Es ist die Zeit zum Ende des 19. Jahrhunderts hin. In den Dolomiten mit ihrer
bewegten Geschichte und den Folgen des Wechsels der Herrschaft von Österreich
hin nach Italien, vom Kaiser zum König. Was den abgeschieden lebenden,
bitterarmen Bewohnern der Bergdörfer am Ende herzlich egal ist, denn beide
Herrschaften haben weitgehend (und die italienische Monarchie vollzieht dies
auch in der Gegenwart des Romans) immer nur genommen und gerade das nötigste
zurückgelassen, damit auch im nächsten Jahr die Arbeitskraft und die Erträge
sich ausnutzen lassen.
Was Augusto de Boer, Tabakbauer in einem abgelegenen Flecken an Einöde, nicht
nur mental sauer aufstößt, sondern auch, wie bei den anderen Bewohnern der
Gegend, ihn immer ins Risiko des Hungerleidens setzt. Denn es muss ja nur eine
Kleinigkeit schief gehen am komplexen Vorgang von Zucht und Ernte des Tabaks,
und schon reicht das Geld nicht mehr für das nächste Jahr. Was angesichts von
Frau und drei Kindern keine Option für Augusto ist.
Der klug ist und einen Plan hat. Nicht nur, wie so manch anderer, ein wenig
Tabak abzuzweigen und auf eigene Rechnung aus dem Anbaugebiet (das unter
Bewachung und Kontrolle des Finanzamtes steht) in eine benachbarte Umgebung zu
schmuggeln. Nein, Augusto will mehr. Und geht gewagte Wege über Schleichpfade
und Grenzen. Wo er auf der einen Seite gute Ergebnisse beim Verkauf des Tabaks
erzielt und auf der anderen Seite dann dies eintauscht an andere Stelle gegen
begehrte Waren und am Ende einen guten Schnitt macht.
Allerdings unter hoher Gefahr, entdeckt zu werden, in den unwegsamen Bergen zu
verunglücken oder schlichtweg auf einer der anderen Stationen seiner
regelmäßigen Schmuggelreisen entdeckt und enttarnt zu werden. Doch Augosta ist
geschickt. Und nimmt eines Tages seine 16jährige Tochter mit, um diese in das
"Geschäft" einzuführen. Bis es doch geschieht und er von einer
seiner Touren nicht zurückkehrt, seine Tochter Jole sic aufmacht, ihn zu suchen
und dabei vielleicht einen ganz anderen Vater entdecken könnte, als sie ihn
bisher kannte.
Was auch den Moment darstellt, in dem der Schwerpunkt des Romans sich ändert
und eine neue Erzähllinie mit installiert, die nun die Fremdheit selbst unter
sich nahestehenden Menschen mit in den Blick nimmt, Misstrauen wachsen lässt,
überraschende Wendungen im Binnenverhältnis von Tochter und Vater mit aufnimmt
und den Leser hoch gespannt Seite für Seite mit in die Frage hineinnimmt, ob
Vertrauen gerechtfertigt ist, ob Enttäuschungen dazugehören und wie das mit
dem "Stille-Post-Prinzip" so funktioniert, wenn jeder meint, etwas zu
wissen oder verstanden zu haben, was vielleicht doch nur Gerüchte sind.
Und das ganze bietet nicht nur als Geschichte eine mitreißende Lektüre,
sondern ist auch sprachlich fein umgesetzt, bildkräftig und doch fast sachlich
geschrieben, das harte Leben der Bergbauern ebenso treffend in Szene setzend,
wie die gefahrvollen, heimlichen Schmugglergänge und die ständig im Raum
stehende Möglichkeit, plötzlich entdeckt zu werden (denn die Gegenseite
schläft beileibe nicht).
"Sie hatte leicht klobige Hände, deren rötliche Haut auf dem Handrücken
schrumpelig und in den Handflächen von unzähligen feinen Falten durchzogen
war".
Fazit
Kurz und auf den Punkt formuliert, so dass der Leser umgehend ein Bild des
ganzen Lebens der Frau (Augustos Ehefrau) vor Augen geführt bekommt und ein
treffendes Beispiel für die sprachliche Kunst des Autors, mit wenigen Worten
ganze Geschichten im Leser freizusetzen. Gepaart mit der tief ausgeloteten
Tochter-Vater Beziehung setzt Righetto eine ganze Form des Lebens und eine
dazugehörende Zeit in Szene, die atmosphärisch und, im zweiten Teil des
Buches, auch psychologisch den Leser mitten hinein nimmt in die Personen und
Ereignisse des Romans.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Mai 2019 2019-05-29 10:45:30