Hervorragender literarischer Thriller
Zunächst scheint es so gut wie nichts zu sein, was Alfaro Manuel, der
Hauptperson des Romans, noch zu geben hätte. Außer seinem Tod durch Unfall,
wie es zunächst heißt. Doch dass da ein ganzes, geheimes Leben aus den letzten
2, 3 Jahren durch Alfaro verschwiegen wurde, dass er seinem Mann Manuel nichts
vom Tod seines Vaters und von diesem umfassenden Erbe erzählt hat, dass trifft
tief. Und es trifft, dass Manuel als Alleinerbe aufgeführt wird. Ein Erbe, dass
er nicht will, an einem Ort, den er nicht mag, in einem inneren Zustand, in dem
außer Wut und Trauer nichts mehr möglich ist.
Und dazu noch diese Familie. Der aufbrausende Bruder. Der tote Bruder, die
Blumenzüchtende Schwägerin, die eiskalte (perfekt getroffen von Redondo)
Mutter seines verstorbenen Mannes, die junge Witwe des jüngsten Bruders mit
ihrem Kind. Und es braucht nicht lange, da spürt Manuel, dass hinter all den
Fassaden, hinter den jahrhundertalten Traditionen der Familie (die vor allem
darin bestehen, alles, aber auch wirklich alles zu unternehmen, damit der
"gute Name" absolut unbefleckt erhalten bleibt) vieles nicht stimmt.
Vieles im Verborgenen liegt und vielfache Interessen hinter den stolzen, teils
hasserfüllten, teils gleichmütigen, teils freundlichen Gesichtern zu finden
wären.
Worin Manuel nicht zu wühlen gedenkt, bis dieser alternde Polizist, seit ein
paar Tagen erst im Ruhestand und mit einer schwierigen Situation zu Hause bei
Frau und Töchtern ihm unangenehm naherückt. Und Fragen aufwirft, die Manuel
sich kaum gestellt hätte. Vielleicht ist aber auch dieser ziemlich hässliche
Hund "Café", der ihn innerlich zum bleiben bewegt. Oder der kleine
Samuel, Neffe seines toten Mannes, der ihn sofort in sein Kinderherz geschlossen
hat. Oder der Priester Lucas, Kinderfreund Alfaros, der mit offenem Herzen
Geheimnisse kennt, von denen er selbst in vielerlei Hinsicht gar keine Ahnung
hat, wie diese einzuordnen wären.
Und es sind genau diese menschlichen Geschichten, die neben der ausgeklügelten
"Todesfallgeschichte" und der sorgsamen und wunderbaren Sprache
Redondos den Reiz dieses Romans ausmachen. Was, selten bei Kriminalthrillern und
Familiengeschichten (die hier in einem verwoben vorliegen und sich daher der
Roman nicht einfach einem konkreten Genre zuordnen lässt), in keiner Form
langweilt, wenn Redondo tief in die Hintergründe und die Lebensgeschichten
einzelner Personen, vor allem Manuels, eintaucht. Ganz im Gegenteil. All das,
was damals auf der Klosterschule geschehen ist, was Café im Haus des
verbitterten Polizisten auslöst, was Manuel im Weingut erfährt und was Luca an
Beichten zu tragen hat, verbindet sich zu einem flüssigen, temporeichen,
tiefgehenden und spannungsvollem Geschehen im Buch, dass den Leser von der
ersten bis zur letzten Seite in ruhigem Ton umfassend fesselt.
"Herminia schnalzte mit der Zunge. Manuel hätte nicht sagen können, ob es
ihr missfiel über dieses Thema zu sprechen, oder ob es sie ärgerte, dass sie
nicht genauer Bescheid wusste".
Was ein sinnloser Ärger wäre, denn über vieles, was geschah, wissen nur sehr
wenige Personen umfassend Bescheid. Vor allem eine Mutter, die all ihre Kinder
verachtet und hasst aber gibt sich keine Blöße und ist viel zu wenig zu
erschüttern, um ihr Hinweise zu entlocken. Die Manuel aus eigener Kraft somit
recherchieren muss. Bis hin zu der Frage, was sein schwuler Ehemann und der
anscheinend doch bestens verheiratete Bruder desselben so häufig in einem
Bordell zu schaffen hatten.
Fazit
Eine hervorragende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 24. April 2019 2019-04-24 15:23:53