Wenn aus "Scheitern" ein "Perspektivwechsel" werden kann
Es ist die Kunst, aus zerbrochenen Gefäßen wieder ein "heiles"
Gefäß zu gestalten. Mit einer gravierenden Besonderheit, die Navarro fast
spielerisch leicht und einsichtig auf das Lebend es Menschen überträgt. Statt,
wie es vielleicht professionelle Restauratoren weltweit angehen würden, allen
Ehrgeiz darauf zu legen, dass das Gefäß, das Schmuckstück, nachher "wie
neu" aussieht, als wäre nie ein Schaden vorhanden gewesen, legt die
Kintsugi Meister gerade auf das Gegenteil wert. Die "Hervorhebung" der
Bruchstellen durch eine "Veredelung mit Gold. Das fast künstlerische
Ausschmücken jenes ehemaligen "kaputt-Seins", dem nun "neues
Leben" ermöglicht wurde mit "stolzer Form der Hinweise" auf
erlittene Schäden.
In einer Zeit und Welt, in der Scheitern und Verlieren eher als Makel gelten, in
denen das "Image" scheinbar deutlich wichtiger ist als das
"Sein" dahinter, in der Schwächen tunlichst nicht gezeigt werden
wollen, damit diese nicht ausgenutzt werden, folgt das Kintsugi und Navorra in
seiner Übertragung auf das emotionale Wohlbefinden des Menschen einer anderen
Orientierung. Dass Scheitern, Krisen, Brüche im Leben, das Liebeskummer,
Trauer, Verluste der eigenen Perspektive oder des eigenen Rahmens (was die
Arbeit angeht) zwar zerstörerisch empfunden werden können, andererseits aber
immer noch die gleiche Person mit den gleichen Stärken und Schwächen ja
vorhanden ist. So ist es tatsächlich möglich, die eigene, innere Bewertung von
Situationen und Krisen zu verändern und als "Perspektivwechsel"
zunächst bewertungsneutral zu kennzeichnen.
Schaute man vielleicht gestern noch "von oben" aus vermeintlich
sicherer Perspektive auf die Welt, schaut man, wenn Verluste erlitten werden
mussten, dann eben "von unten" die ganze Sache mal an. Mit der
Überzeugung, dass jede Perspektive ihre Berechtigung hat und der
"Ist-Zustand" der "neuen Situation in der Krise" auch nur
als ein Ausgangspunkt für eine neue Wendung im Leben begriffen werden könnte.
So schwer das, verständlicherweise, in solchen Situationen emotional auch
fällt. Um dann, in der Bewältigung konkreter Krisen, die Schrammen und Wunden,
die Narben und Verletzungen, eben nicht ständig zu verbergen, sondern zunächst
die eigene Verletzung durchaus zeigen zu können und, im Nachgang, die Kerben
und Wunden als Teil der eigenen Stärke und gewonnenen Lebenserfahrung "zu
präsentieren". Vor allem sich selbst.
Fazit
So verbindet sich die japanische Kunst der Keramikreparatur mit der emotionalen
Herangehensweise an Schläge und Krisen des eigenen Lebens, mit der
"Reparatur der eigenen Emotionen". So wie "reparierte
Keramik" als Symbol für Zerbrechlichkeit, Stärke und weiterhin Schönheit
(in veränderter Form) steht.
Wie also emotionale Verletzungen geheilt werden können, wie man aus Krisen
gestärkt hervorgehen kann, wie ein "zerbrochenes Leben" wieder sich
"zusammenfügt", das alles zeigt Navorra in ruhigem Ton mit
erkennbarer Erfahrung auf und bietet so einen ganz anderen, wohltuenden,
heilenden Blick auf Krisen und Scheitern, die das menschliche Leben immer
ereilen können.
Eine sprachlich flüssige und inhaltlich hochinteressante Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 05. April 2019 2019-04-05 11:02:15