Mehr Psycho als Thriller
Es ist die innere Ebene des neuen Thrillers von Peter Swanson, eine Ebene, die
in seinen Werken immer eine tragende Rolle spielt, hier nun aber eindeutig die
Hauptrolle übernommen hat. Wobei das erzählerische Motiv des
"Wohnungstausches" zwischen zwei eigentlich Fremden nicht neu ist, die
innere Panikstörung, mit der Kate Priddy allerdings die Wohnung ihres, ihr
persönlich unbekannten, Großcousins es aber deutlich in sich hat, Jeder
geschlossene Raum, jede Situation der Einengung (sei es im Taxi im Tunnel, sei
es auf dem Gang vor der Wohnung in Boston, als dort viele Polizisten und
Nachbarn auftauchen) rüttelt an ihren Nerven und führt zu körperlichen
Attacken, gegen die auch das Valium nurmehr schwer ankommen.
Wenn dann noch in der Nachbarwohnung eine Leiche gefunden wird, wenn dann noch
mehr und mehr, zunächst Kleinigkeiten, dann Dinge, an denen man nicht
vorbeisehen kann, in der Gastwohnung geschehen, die Kate sehr verwirren und
misstrauisch machen, wenn sie zudem einen Schlüssel für die Wohnung, die
Tatort geworden ist, in einer Schublade ihres Großcousins findet, dann liegt
der Schluss, zumindest für den Leser, nicht weit, dass vielleicht noch
Schlüssel zu anderen Wohnungen sich in anderen Schubladen befinden könnten.
Dass dann diese Kate bei der ersten Begegnung mit einem der Mitbewohner des
Mietshauses eindeutig und überaus merkwürdig Gedanken in sexuelle Richtungen
sich bei ihr breit machen, die weniger als Fantasie denn als unbedingte
Bereitschaft vom ersten Moment an im Raum stehen, dann wird auch umgehend
deutlich, dass diese Kate einen inneren Sinn, eine ausgeprägte Intuition für
das Befremdliche, Andere, Gefährliche im Leben hat. Was ja auch nicht wundert,
wenn jemand ständig in Angst lebt und alle Unwägbarkeiten versucht,
vorwegzunehmen, um nicht in unkontrollierbare Situationen zu geraten.
So ist es gar nicht die Tätersuche (was dem erfahrenen Leser schnell klar sein
dürfte) oder die Ermittlungen oder die Gefahr, in die Kate mehr und mehr selbst
gerät, die den eigentlichen Spannungsbogen dieses Thrillers darstellen, sondern
das geschickte Ausnutzen irgendeines Fremden, was Kates konkrete Ängste angeht.
Und damit stellt sich auch die eigentlich spannende Frage, die Swanson mit
verschiedenen Wendungen und Überraschungen dem Leser immer wieder geschickt vor
Augen führt, wer denn eigentlich so genau über Kate und ihre Ängste Bescheid
wissen kann? Mitsamt der immer bedrohlicher werdenden Situation der jungen Frau,
die lange Zeit von keiner Seite her Antworten findet, die ihr die Augen öffnen
könnten.
Wobei es Swanson ebenso überwiegend gelingt, dem Leser die innere Angst Kates
fassbar und nachfühlbar in den Raum des Buches zu stellen. Das ein Stück weit
Spannung um den Täter herum sich wenig aufbaut, dass einige Wendungen und
Verhaltensweisen Kates wenig realistisch wirken und ebenso, dass merkwürdiges
Verhalten auch anderen eher kaum auffällt, dass sind kleinere Abstriche in der
psychologisch und emotional dichten Atmosphäre, die erwähnt werden sollten.
Aber weitgehend aufgefangen werden durch einen zweiten Aspekt des Thrillers,
nämlich der Frage, woher diese Panik bei Kate eigentlich kommt und was die
junge Frau in ihrer Vergangenheit traumatisch erlebt hat, um ein solches
Nervenbündel zu werden. Das dann das "wahre Leben" im Thriller alle
Ängste Kates übertrifft und überaus düstere Charaktere und Situationen
entstehen werden, lässt den Leser dabei das Geschehen durchweg aufmerksam
verfolgen.
Fazit
Ein flüssig verfasster, emotional dichter Thriller, bei dem nicht alles stimmt
und überzeugt, der aber für eine angeregte und spannende Lektüre durchaus
sorgt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 05. Februar 2019 2019-02-05 12:36:02