Mona geht auf die 60 zu und verschickt seit vielen Jahren aus ihrem Laden in
einem kleinen englischen Küstenort Künstlerpuppen in alle Welt. Mit großer
Liebe stöbert Mona auf Flohmärkten nach historischen Stoffen und
Kleidungsstücken, aus denen sie stilsicher für jede Puppe historisch
authentische Kleidung schneidert. Die Puppenkörper liefert "der
Tischler", dessen Name lange nicht genannt wird und der Mona gegenüber
sehr ergeben wirkt. Ausgelöst durch ihren bevorstehenden Geburtstag und weil
ihre langjährige Mitarbeiterin Joley kündigen wird, ist Mona frisch mit ihrer
lebenslangen Einsamkeit und der Endlichkeit ihres Lebens konfrontiert. Der
kleine Ort steht unmittelbar vor dem wirtschaftlichen Niedergang; denn Touristen
reisen zwar zum Sightseeing an die Küste, geben aber zu selten Geld in den
kleinen Läden aus.
Kundinnen, die Monas Laden betreten, sind häufig von Gayle aus deren
Selbsthilfegruppe in der Kirchengemeinde zu ihr geschickt worden. Zwischen den
Frauen scheint eine intuitive Verbindung zu bestehen, Mona weiß immer, warum
eine Frau den Laden betritt. Mona war selbst einmal Teilnehmerin in Gayles
Gruppe. Von Mona erhalten diese Frauen ein anteilnehmendes Gespräch und später
eine hölzerne Puppe, die dem Geburtsgewicht des totgeborenen Kindes jeder Frau
entspricht. Monas Zuwendung ist ein Geschenk und man ahnt als Leser früh, warum
sie sich dazu verpflichtet fühlt. Das Gewicht des Kinderkörpers im Arm soll
nachträglich die Verletzungen heilen, die Gayles Teilnehmerinnen nach einer
Totgeburt erlitten haben, weil ihr totes Kind fortgetragen und heimlich
beigesetzt wurde, bevor sie von ihm Abschied nehmen konnten. Häufig wühlt die
Selbsthilfegruppe oder ein Treffen einer Mutter mit Mona gerade bei betroffenen
Vätern ein Erlebnis wieder auf, das Männer selten ohne therapeutische Hilfe
verarbeiten können.
Während Mona in der Gegenwart einen ungewöhnlich gut aussehenden Mann
kennenlernt, erzählen Rückblicke von ihrem eigenen Schicksal und der
befremdlichen Heimlichtuerei, mit der in ihrer irischen Heimat totgeborene
Kinder fortgeschafft wurden. Eine Gesellschaft, sonst in jeder Frage fest in
Rituale der katholischen Kirche eingebunden, hat hier eine Lücke gelassen und
die betroffenen Eltern schamhaft allein gelassen. Mittelpunkt von Monas
Erinnerungen ist eine einfache Stoffpuppe, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter
vor deren frühem Tod nähte. In Monas Familie war der Umgang mit Zeit
traditionell ein Thema. Von Bridie O’Connor, einer Verwandten ihrer Mutter,
sagte man, sie könnte Zeit strecken. Auch Mona scheint in ihren Erinnerungen
die Zeit zu strecken, um die Abschiede und Trennungen ihres Lebens zu
verarbeiten. Mona heilt auch sich selbst, in dem sie betroffenen Frauen ihre
Zeit schenkt. Vielleicht wird sie sich eines Tages eingestehen, dass die Zeit
eben keine Wunden heilt und manche Person für Entscheidungen büßt, die sie
selbst nicht getroffen hat.
Fazit
Wie in einem Puppenhaus betrachtet die Autorin in einem kleinen Dorf Armut,
Emigration, Heimweh, Scham und das Hadern mit Entscheidungen, die man evtl. noch
unbedarft in jungen Jahren traf. So verdienstvoll es ist, das Thema Verwaiste
Eltern in den Mittelpunkt eines Romans zu stellen, so sonderbar finde ich es,
dass in der Gegenwart eine Betroffene ohne Supervision oder Austausch unter
Kolleginnen privat therapeutische Gespräche führt. Aufmerksame Leser können
in Kit de Waals berührendem Buch zwar - abschreckende - Beispiele finden, wie
eben nicht mit verwaisten Eltern umgegangen werden sollte, etwas größere
Distanz der Autorin zu wenig hilfreichen Allgemeinplätzen hätte ich mir hier
jedoch gewünscht.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 22. Januar 2019 2019-01-22 14:38:31