Die Welt andersherum
"Er guckte bedeutungsvoll in die Runde. Als ob wir nicht gewusst hätten,
was als Nächstes kam. – Arbeite, arbeite, arbeite!".
So der O-Ton des Direktors der Schule, die Josua besucht. In einer Welt, die wie
die gewohnte eigentlich funktioniert, nur umgekehrt. Das, was in der Realität
arm ist (Afrika), ist in der Welt Torklers reich, was reich ist, demgegenüber
arm. Ein Deutschland, das in Berlin, wo Josua aufwächst, eher dem Mief der 50er
Jahre entspricht und sich mehr schlecht als recht als Kleinstaat durchs
"Weltgeschehen" schlägt. Da, wo Mütter "Muttchen" heißen,
wo in zwei Zimmern aus Geldnot gehaust wird, wo eben jenes "Arbeite,
arbeite, arbeite" völlig unsinnig wirkt, denn durch Fleiß und Arbeit
kommt in diesen Umständen niemand nach oben oder wenigstens gut über die
Runden. In Kreißsälen, wo 30 Frauen gestapelt liegen und, wenn es soweit ist,
nur mit Glück eine Schwester oder ein Arzt zu finden sein werden. In der gute
"altdeutsche Namen" zu wählen sind und eine Taufe auf den Namen Josua
bereits Unmut in der Schar der Gläubigen im Tauf-Gottesdienst hervorruft.
Kein Wunder, dass die Träume der jungen Leute sich auf die Sehnsuchtsorte jener
anders gelagerten Welt richten, zur echten "Sonne", die in Afrika im
wörtlichen und übertragenen Sinne scheint. Denn "die Partei", die
diffus "das Sagen" zumindest in Berlin hat, hat den "Tag der
nationalen Einheit" schon vor Jahren abgeschafft. Und auch die periodisch
auftretende Bereitschaft zur "Entwicklungshilfe" durch die
afrikanischen Potentaten bewirkt nichts anderes als ein Versickern der
Geldmittel. So verwundert es nicht, dass die S-Bahn in Berlin weder Bahnhöfe
noch Gleise noch funktionsfähige Wagen besitzt, sondern allein
"Klapperbusse" für den Transport von Menschen sorgen, wie es eben in
der realen Welt in weiten Teilen Afrikas der Fall ist.
Aber Josua war und ist anders als all jene, die sich herein fügen in das
"Schicksal". Er bricht auf, wagt die Flucht, und erlebt, was Millionen
von Menschen heutzutage bewegt. Die Aussichtslosigkeit der Heimat und der
verzweifelte Schritt zum gelobten Land, dass einen nun aber nicht unbedingt
haben will. Bis zum ernüchternden Ende, als es fast schon geschafft scheint und
doch trübe Aussichten im Raum stehen.
Fazit
Eine interessante Konstellation, die allerdings an nicht wenigen Stellen eher
stereotyp dargestellt wirkt und zudem einiges an Konzentration erfordert, die
verschiedenen Zeitstränge im Buch auseinanderhalten zu können und ein Werk,
dass gerade in der ersten Hälfte einige Längen aufweist. So verbleibt eine
gute Idee mit einigen spannenden, auch anrührenden und aufrüttelnden
Flucht-Szenen und das Wissen darum, das auch einiges an Glück und Zufall
dazugehört, dass sich eine Gesellschaft konstruktiv entwickelt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 26. Oktober 2018 2018-10-26 13:26:18