Die Autorin Marta Kijowska weiß wovon sie schreibt und spricht. Gebürtige
Polin, seit langem in Deutschland lebend mit regelmäßigen Besuchen und stetem
Kontakt in ihr Heimatland Polen. Beide Länder, deren Bevölkerung, Geschichte
und politische Entwicklung und Wege sind ihr also bestens bekannt. Was ist mit
den Polen los? - die aktuellen Entwicklungen unter der derzeitigen
nationalistisch orientierten Regierung in Polen haben sie ganz offensichtlich
motiviert, auf ihre selbst gestellte Frage eine Reihe von Antworten aus
unterschiedlichen Bereichen des Lebens zu suchen (und zu finden).
Die wechselvolle Geschichte Polens, einer Nation die nur selten eigenständig
sein konnte und durfte, hat zweifelsfrei einen nachhaltigen Einfluß auf das
Selbstverständnis und das Selbstwertgefühl der Polen. Die ersten drei Kapitel
dieses Buches beschäftigen sich mit diesem Sachverhalt, ausgehend von der
Frage, warum die heutige polnische Gesellschaft sich gespalten darstellt, obwohl
die letzten knapp 3 Jahrzehnte den Polen einen Weg in Freiheit und Demokratie
ermöglichten und sie diesen Weg auch mutig und entscheiden gingen. Die aktuelle
Regierung dreht das Rad zurück und rückt nationalistische Interessen wieder in
den Vordergrund.
Eine Nation auf der Suche nach der eigenen Identität - Kijowska gelingt es, dem
Leser entsprechende Sachverhalte an zahlreichen gut belegten Beispielen in
ausgezeichnet lesbarer Form nahe zu bringen. Der besonderen und besonders
verhängnisvollen Beziehung zu den Nachbarstaaten Deutschland und Russland
(früher: Sowjetunion) widmet sie ein eigenes Kapitel und verdeutlicht, warum
sich das Verhältnis auch heute nach wie vor nicht unkritisch darstellt.
Die Angst vor dem/den Fremden begründet sich ebenfalls historisch und führt zu
einem ablehnenden Kurs bezogen auf die Migrationspolitik der Polen innerhalb der
EU. Ebenso problematisch gestaltet sich die Beziehung zwischen Polen und Juden
und das, obwohl Polen einst als Hochburg der europäischen Juden galt. Die
Ereignisse in der Ära der deutschen Okkupation und die Rolle der polnischen
Bevölkerung der jüdischen Bevölkerung gegenüber bedarf, über die
berechtigte Abgrenzung von deutschen Gräueltaten hinaus, einer weiteren
historisch-kritischen Aufarbeitung.
Mit dem EU-Beitritt Polens im Jahre 2004 entwickelte sich die Wirtschaft Polens
hervorragend. Polen galt als Musterschüler der Europäischen Union und im Jahr
der EU-Präsidentschaft zeigten die polnischen Politiker, allen voran Donald
Tusk, dass sie durchaus in der Lage sind, eine Staatengemeinschaft zu führen.
Aber: wohin steuert die PiS-Regierung das Land heute? Mit einer positiv
stimmenden Hoffnung schließt Kijowska das Buch: die junge polnische
Bevölkerung steht mehrheitlich zur Demokratie und zu den politischen Werten
Europas. Bleibt abzuwarten, ob die Wahlen im kommenden Jahr 2019 dies
widerspiegeln.
Fazit
Der Autorin gelingt es in beeindruckender Manier, Polen und seine Menschen nicht
nur zu beschreiben, sondern auch Verständnis für eine besondere Situation
aufgrund der historischen Bedingungen zu wecken. Ohne zu beschönigen, ohne
aktuelle Entwicklungen zu entschuldigen, die auch sie selbst ganz offensichtlich
kritisch betrachtet.
Ein Spagat besonderer Art gelingt ihr ebenfalls vorbildlich: das derzeit mit
Problemen behaftete Verhältnis Polens zu den europäischen Nachbarn,
insbesondere zu Deutschland, neutral und mit Blick auf die Befindlichkeiten
aller Beteiligten zu beschreiben, das gelingt wahrhaftig nur wenigen so wie ihr.
Ein absolut lesenswertes Buch mit einer deutlichen Hoffnung auf ein "Happy
End"!
Vorgeschlagen von Dietmar Langusch
[Profil]
veröffentlicht am 10. Oktober 2018 2018-10-10 21:50:40