Anregender, verständlicher und der Realität zugewandte Betrachtungen
Der reinen Lehre nach, zumindest derer der Volkswirtschaft bis vor einigen
Jahren, verhält ein Mensch sich "auf dem Markt" rational. Damit ist
dann für Waren und Dinge ein Preis "berechenbar", weil eben Nachfrage
und Preis rational durch den "Menschen in der Wirtschaft" (kurz
"Econ" genannt) ausbalanciert werden. An dieser klaren These und den
klaren Ableitungen hatte Richard Thaler schon als junger
Wirtschaftswissenschaftler Zweifel. Die er zunächst eher als Ahnung verspürte,
in Richtung eines: "Da stimmt was nicht".
Und richtig. Wenn er als Beispiel die Zeiten der Einführung der Kreditkarten in
Amerika anführt und den damaligen Streit, ob die 0,3 Prozent Mehrkosten für
die Abrechnung durch eine Kreditkarte als "Gebühr"
"aufgeschlagen" wurde, oder ob das Zahlen mit Bargeld
"rabattiert" wurde um 0,3 Prozent, für den "Econ" wäre das
gleich, denn kühl würde er den Preisunterschied bemerken und nur rational Vor-
und Nachteile der beiden Zahlmethoden vergleichen, vielleicht noch einfließen
lassen, dass ihm seine Bequemlichkeit eben 0,3 Prozent Aufschlag auf den Preis
wert wären.
Doch es hatte seinen Grund, warum der Streit um die Benennung des Mehrpreises
durch die Kreditkartengesellschaften so hart gekämpft wurde. Denn für die
Psychologie des Menschen ist der "Normalpreis" wichtig und
entscheidend. So hat sich also eingebürgert, dass der Preis unter Zahlung mit
Kreditkarte "Normalpreis" ist und Barzahler einen "Rabatt"
bekommen. Nur eines der zig verblüffenden Beispiele, mit denen Thaler seine
Grundüberlegungen zu den Gesetzmäßigkeiten des Wirtschaftens dem Leser
nahebringt.
Und wie unterschiedlich die gleiche Ausgangslage (Freikarten für ein beliebtes
Sportevent bekommen zu haben) sich auswirkt. Der eine geht mit einem Freund hin.
Der andere verkauft die Karten sehr überlegt für einige Hundert Dollar. Beide
verstehen den anderen dabei nicht. Der eine mit der Haltung: ist geschenkt,
nutzt mir zum Genuss, kostet ja nichts, der andere sieht allein den materiellen
Wert der Karten und könnte (im eigenen Denken) eben ein Spiel nicht genießen,
für das er gefühlt einige Hundert Dollar bezahlt hat, obwohl es Freikarten
waren. Bezahlt mit dem "entgangenen Gewinn".
Der "Endowment-Effekt" (Besitztumseffekt) ist es, den Thaler auf diese
Weise eingängig erklärt und mit dem er beginnt, den Faden aufzurollen, dass es
nicht die "reine Lehre der Volkswirtschaft" mit ihrem "perfekt
rationalen Econ" ist, welche das wirtschaftliche Handeln des Menschen in
der Tiefe erläutern kann, sondern das zumindest als Ergänzung, in mancherlei
Hinsicht als die überlegen Wissenschaft zur Erklärung des menschlichen
Verhaltens "auf dem Markt" die Verhaltensökonomie ist. Womit Thaler,
ganz nebenbei, den Effekt der bereitwilligen sozialen Hilfe für
"identifiziertes Leben" (viele Spenden für eine konkrete Person in
Not) gegenüber der mangelnden Zahlungsbereitschaft für "abstraktes"
Leben einer tragfähigen Erklärung zuführt und auch an diesem Beispiel
beweist, dass der Mensch in nicht wenigen Hinsichten ein "schlechter"
Geschäftemacher ist, das kühle Zahlenwerk (dass für allgemeine Investitionen
eher sprechen würde, da viel mehr Menschen gerettet werden könnten) zumindest
oft ein eher untergeordnete Rolle für wirtschaftliche Entscheidungen trifft.
Seite für Seite beleuchtet Thaler seine Erkenntnisse, vielfache Beispiele
illustrieren für den Leser später auch abstraktere Gedankengänge und am Ende
der Lektüre verbleibt zum einen das Erlebnis, dass Thaler sehr gut zu erklären
und zu beschreiben verssteht, vor allem aber die Wechselbeziehungen zwischen
Mensch und Markt, Individuum und "kaufende" (oder eben nicht)
Vorgängen deutlich differenzierter und klarer durchleuchtet, als es reine
Theorien unter "Laborbedingungen" vermögen.
Fazit
Eine hervorragende Lektüre für jeden, der sich für alltägliche und letztlich
existenzielle Wirtschaft als "Bühne" von Verhalten und dessen
Ökonomie interessiert. Rationale Vernunft zumindest ist es nicht, was
Entscheidungen im wirtschaftlichen Handeln begründet.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Juni 2018 2018-06-07 10:10:37