Ernüchternd einerseits, einseitig andererseits
"Nicht Kulturen bringen Religionen hervor, sondern Religionen sind der
Ursprung der Kulturen".
Eher lapidar am Rande dahingesagt, nicht mit Fußnoten versehen (wie im gesamten
Buch, zum Ende hin gibt Onfray einen Überblick über seine Quellen), setzt
Onfray mit diesem Satz einen der Eckpfeiler seiner Darstellung, die dystopisch
vom "Niedergang der christlich-jüdischen" Kultur (samt deren
Gründung und "Hoch-Zeit") erzählt, von der bevorstehenden
"Übernahme der kulturellen Vorherrschaft in Europa durch den Islam"
und, noch weiter in die Zukunft geschaut, von der Abschaffung des Menschen durch
einen "Transhumanismus". Kritsch sei dabei grundlegend bemerkt, dass
ob der fehlenden Literaturverweise im Text des Buches selbst und ob der teils
stark subjektiv eingefärbten Sprache, der Vereinfachung mancher Sachverhalte
und des zudem nicht selten offen Ressentiment-geladenen Tonfalls ein gewisser
Abstand bei der Lektüre eingehalten werden sollte.
Eher "Meinung" denn klare, wissenschaftlich gekennzeichnete
"Geschichtsphilosophie" ist es, die Onfray in diesem Werk vorlegt. Im
Übrigen natürlich nicht, ohne vorweg zu schicken, warum das Christentum an
sich eine künstliche Schöpfung um ein "Konzept" herum darstellt
(Jesus als Person lebte nie). Auch wenn man (hier oder an anderen Orten) der
Argumentation Onfrays folgen sollte, so wäre doch deutlich mehr Differenzierung
wünschenswert gewesen. Getreu nach Darwin setzt dagegen Onfray, Atheist und
Verächter der "Psychoanalyse" und aller "Anbiederungen an den
Zeitgeist", sowie kopfschüttelnder Kritiker des "Nihilismus" und
konkreter Kunstformen des 20. Jahrhunderts, seine Linie des
"Vitalismus" als roten Faden durch das Werk.
Alles, was lebt, Individuen und Kulturen, folgt dem gleichen Muster von Werden
und Vergehen. Geboren werden, aufwachsen, Kraft sammeln, sich seinen Teil Welt
aneignen. Dann "mächtig" sein, das direkte Umfeld (und, im Falle von
Hochkulturen, größere Teile der Welt an sich ) beeinflussen (bei Onfray im
Übrigen immer durch Macht, Gewalt, Härte, durch "das Schwert" (nicht
"das Jesus-Konzept", sondern Paulus haben die christliche Kultur des
Abendlandes durchgesetzt), was im Gefolge dann "Denker, Professoren,
Künstler" nach sich zieht. Am Ende dann Schwäche, Niedergang,
Rückzugsgefechte und auf existenzielle Fragen nur mit "kultureller und
glaubensschwacher" Leere antwortend und damit untergehend.
Stringent verfolgt Onfray diese Linie, ohne Links und Rechts Blickrichtungen dem
Leser zu ermöglichen. Wie er dabei das zweite vatikanische Konzil als einen
"inneren Offenbarungseid" des Katholizismus beschreibt, das ist schon
mit Interesse zu lesen, dass Onfray als erklärter Atheist sich mokiert über
die zu große "Nähe zu Gott", der nun geduzt und nicht mehr gesiezt
werden soll. Wenn er zudem lapidar feststellt, dass die militärische Macht
Europas nicht mehr existiert und eben niemand bei klarem Verstand "sein
Leben für ein iPhone" opfern würde (im Gegensatz zur begeisterten
Opferung des eigenen Lebens für religiöse Ideen), dann scheint an diesen und
vielen anderen Stellen im Werk deutlich heraus, wie sehr Onfray die Moderne, den
"schwachen Menschen" und die kraftlosen "Gläubigen"
verachtet.
Doch sollte man nicht zu schnell das Tuch über dem Werk zerreißen. Bei aller
Angreifbarkeit in Darstellung und vielfach einseitigen, harschen Meinungen (der
Islam gewinnt, weil er einfach mehr Nachkommen generiert und will die Scharia
und sonst nichts), Onfray gelingt es durchaus, dem Leser Stoff zum Nachdenken zu
bieten. Mit seinen klaren Verweisen, dass es immer "Oligarchie" ist,
die das weltweite Geschehen bestimmt, mit seinen Beispielen, wie schnell aus
"überzeugten Kommunisten" ebenfalls "überzeugte
Markt-Radikalisten" wurden. Oder indem er aufzeigt, dass
"Kapitalismus" keine "Religion durch Karl Marx ist", sondern
immer schon das Leben der Kulturen bestimmt hat. Und wenn er, das muss man schon
sinken lassen und eine Antwort darauf finden, die Reaktionen der westlichen, vor
allem europäischen, Demokratien auf die (immer noch geltende) "Fatwa"
gegen Salman Rushdie und die Reaktionen auf den Anschlag bei Charlie Hebdo
zutiefst abwertend anklagt.
Gerade im Blick auf Rushdie ist es tatsächlich die Frage, warum Botschafter
nicht abgezogen, Sanktionen nicht eingeleitet, ein klarer Bruch zum
"religiösen Regime" in Isfahan nicht vollzogen wurde. Denn einen
Autor unter weltweites Todesurteil zu stellen und, am Ende, bis heute, damit
durchzukommen, dass ist schon eine Anfrage an die "Verteidiger der Werte
der Freiheit" wert. Und das ist nicht die einzige Frage, die Onfray zu
Recht, wenn auch in Form und Stil stark kritisierbar, dem Leser auf den Weg
wirft. Eine subjektive, hart wertende Darstellung, wie das Christentum
"Weltreligion" wurde (mit Gewalt), sich an der Macht hielt (mit
Gewalt), die Welt heutzutage "kuscht" (vor Gewalt und markigen
Worten), dass vielleicht tatsächlich der christlichen Welt die "alten
mosaischen Gesetze" der patriarchalischen Kultur wieder an vielen, vielen
Orten wieder "übergestülpt" werden, dass der "Konsumismus"
als Religion nicht taugt und dass der Islamismus nicht im Fanatismus an sich,
sondern durchaus in einer bestimmten Lesart des Korans verwurzelt.
Fazit
Ein Werk, dass differenziert betrachtet werden sollte, nicht einfach in seinen
Thesen übernommen werden kann, aber vielfache Informationen als
"Gesamtschau" enthält mit Folgerungen, die nicht einfach pauschal von
der Hand zu weisen sind.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Mai 2018 2018-05-29 14:39:27