Sachte, tiefe, sprachlich wunderbare Annäherung an das Heilige
Es ist ein Dorf der alternden Männer. Da in den Bergen Italiens. In dem der
Erzähler lebt. Vor sich hin macht. Ein wenig schnitzt, hier und da etwas
restauriert, der Frau hinterhertrauert, die ihn verlassen hat (was er nicht zu
sehr an sich heranlassen möchte, verständlicherweise).
"Ich schnitze Namen für die beharrlich Verliebten, die sie lieber in Äste
oder Stein geritzt sehen, statt als Tätowierungen... Geblieben ist mir die
Bewunderung für Künstler, ein Zuschauergefühl, nicht das eines
Kollegen".
Und noch etwas ergibt sich als Aufgabe. Fremde kommen, mehr und mehr. Auf der
Flucht, mit Geld, auf dem Weg "in die gelobten Länder" hinter den
Bergen. Der Bäcker, der Schmied und er kennen die Wege. Die schnellen für die
Kräftigen, die weiteren Wege für die Schwächeren. Teuer, aber sicher. Wobei
der Erzähler diesen "Schmuggel" auf ganz eigene Weise ich am Ende
selbst honoriert. Aber, wie das so ist, wenn man es still für sich anders als
die anderen macht, wenn man dieses "Gute" in sich trägt, auch wenn
durch Kummer angebrochen ist, es fällt auf einen zurück in der modernen Welt.
So sehr, dass der Erzähler das Dorf zu verlassen hat.
Ebenso knorrig und still für sich geht er einfach. Aus dem Dorf, dass er nie
zuvor verlassen hätte. Und sucht einen Auftrag. Den er in ganz anderer Weise
findet, als er je zuvor gedacht hätte. Eine Skulptur, ein Meisterwerk, aufgrund
einer anstößigen Darstellung schon seit Langem "verhunzt" soll in
den Ursprung gebracht werden. Und er, der, der keinen persönlichen Gott kennt,
vertieft sich in das Werk, die Skulptur, den Künstler, der es gewagt hat, mit
einer kleinen, aber massiven Geste die Qual, das Verrecken am Kreuz und die
zutiefst körperliche Reaktion darauf in Marmor zu meißeln. Was nun
nachzubilden, zu restaurieren ist.
"Es ist ein plötzlicher Antrieb im Blut. Diese Barmherzigkeit verdankt
sich keiner Bitte. Sie ist nicht die Nächstenliebe eines Almosens... die Figur
bittet mich nicht... aus eigenem Impuls überwinde ich die Distanz des
Zuschauers und komme näher".
Und wie de Luca dies alles beschreibt, trifft er genau den richtigen Ton. Für
den modernen, sich selbst entfernten Menschen. Kein Pathos, keine großen,
göttlichen Eingebungen, keine Form der Predigt ist es, die de Luca um diesen
namenlosen Erzähler herum sorgsam, mit jederzeit festem Tritt und geerdet Seite
für Seite aufbaut. Dass da eine "Wirklichkeit hinter der
Wirklichkeit" ist, die nur im eigenen Inneren gefunden werden kann, dass
ein Kunstwerk, genau in dieser Perfektion ausgeführt, genau mit dieser rauen
"Gänsehautmarmorierung" (es ist kühl am Kreuz mit all dem
Angstschweiß) "einen kommen lässt", "einen dahinzieht".
Langsam, ruhig, sachte.
Wie auch seine Wege mit den Flüchtlingen nicht aufdrängend endenden, immer
entfloh er der Situation mit auf die Ohren gepressten Händen. Er, der nicht an
eine Gottheit glaubt, sondern an einen Vertreter der menschlichen Spezies. Dem
heilig ist, für was ein Mensch bereit zu sterben ist. Der sich findet im Werk
des anderen und, am Ende, endlich genau jene innere Haltung finden wird, selbst
"Hand anzulegen" und damit Frieden und Freiheit im Herzen findet. Was
de Luca alles passgenau in jedem Wort in de ruhigen, kurzen, eher dokumentarisch
denn übertrieben poetischen Sprache präzise für den Leser emotional
nachvollziehbar gestaltet und damit den Leser mitten hinein nimmt in dieses
existenzielle Frage, dass das Heilige immer nur mit dem Barmherzigen zusammen
auftreten kann. Und wie das gehen würde.
Fazit
Eine wunderbare Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 29. Mai 2018 2018-05-29 14:33:00