Joachim C. Fest kommt das Verdienst zu, die führenden Männer des sogenannten
"Dritten Reiches" kenntnisreich portraitiert zu haben und dem Leser
nahezubringen. Was mich an diesem Buch - wie übrigens auch an seiner
Hitler-Biographie - fasziniert, ist,
dass er nicht beim rein biographischen Aspekt stehenbleibt, sondern in der Tat
seinem Anspruch gerecht wird, "in jedes einzelne Porträt den ihm
zugeordneten "rahmenfüllenden Hintergrund" einzufügen." Dies
ist Fest meines Erachtens vollauf gelungen. Nun ist der Abriss über Hitler eine
Kurzfassung seiner umfassenden Hitler-Biographie von 1973 (die Erstauflage des
vorliegenden Buches erschien bereits im Jahre 1963). Dennoch - Geschichte wird
von Personen gemacht, und deren Porträtskizzen, etwa die Görings, des
langjährigen Zweiten Mannes, Goebbels oder anderer, sind äußerst anregend
geschrieben. Fesselnd wird die kalte Rationalität des "Vaters der
SS", Heydrich sowie der Rassenwahn des "Kleinbürgers und
Großinquisitors" Himmler dargestellt. Den Fest vielfach gemachten Vorwurf,
seine biographische Herangehensweise vernachlässige soziale Faktoren, kann ich
nicht teilen. Dass bei Portraitskizzen und bei historischen Biographien die
Persönlichkeit im Mittelpunkt steht - wen wundert es. Gregor Schöllgen hat in
seinem Aufsatz: "Das Problem einer Hitler-Biographie" (abgedruckt in
dem Standardwerk von Bracher/Funke/Jacobsen "Nationalsozialistische
Diktatur: 1933-1945", Droste-Verlag, 1983) in Bezug auf Fests
Hitler-Biographie korrekt festgestellt: "Wenn das gleichmäßige
Berücksichten der Person wie der sozialen, wirtschaftlichen, politischen oder
ideologischen Prozesse einer Epoche in ihrer kausalen Verflechtung als Kriterium
für eine politische Biographie gelten darf, so kann man die biographie von
Joachim C. Fest zu diesem seltenen Typ der politischen Biographie zählen."
Des weiteren stellt Schöllgen fest: "Es ist wichtig, im Auge zu behalten,
daß Fests Buch primär eine biographie, nicht aber eine Geschichte der Weimarer
Repblik oder des "Dritten Reiches" ist. Insofern treffen zahlreiche
Kritiken ins Leere, wenn sie gegenüber Fest eine Liste nicht erwähnter oder
nur unzureichend beschriebener und analysierter Faktoren in Anschlag
bringen." Völlig richtig. Und genauso sieht es auch bei diesen
biographischen Betrachtungen aus, die natürlich umfassende - inzwischen
teilweise vorliegende Biographien der einzelnen Persönlichkeiten - nicht
ersetzen können, jedoch einen faszinierenden Einblick in die Struktur des
Dritten Reiches aufzunehmen und "Profile einer totalen Herrschaft" an
ausgewählten Fallbeispielen aufzuzeigen. "Immerhin war dabei die Absicht
bestimmend", so Fest in seinem Vorwort, "möglichst alle wesentlichen
Züge jenes Herrschaftsgebildes in die Darstelung aufzunehmen, so daß der Leser
am Ende mehr als ein nur vom Rang der ausgewählten Akteure geprägtes Bild
erhält." So begründet der Autor auch explizit seine Auswahl: "Der
Intention nach zielt das Buch auf die Beschreibung und Analyse psychologischer
Strukturen; die Aufgabe, die es sich gestell hat, ist die Darstellung mehr oder
minder typischer, am nationalsozialistischen Beispiel demonstrierter Varianten
des totalitär anfälligen Menschen." Nicht umsonst hat Adorno von der
"autoritären Persönlichkeit" gesprochen. "Sofern einzelne
Vordergrundfiguren aus dem Herrschaftsapparat des Dritten Reiches zwar unter dem
Gesichtspunkt einer möglichst umfassenden sachlichen Fragestellung Interesse
hätten beanspruchen können, ihre Persönlichkeit an sich jedoch keine oder nur
solche Aufschlüsse vermittelte, die schon von der Persönlichkeit des einen
oder anderen ihrer Führungspartner verfügbar gemacht worden waren, wurden sie
hier nicht berücksichtigt. Das gilt zum Beispiel von Robert Ley..."
Natürlich kann man dann über die Auswahl streiten. Ich hätte liebend gerne
ein Portrait eines wichtigen Steigbügelhalters der nationalsozialistischen
Herrschaft, des "Dieners dreier Herren" (Karl-Heinz Janßen) Otto
Meißner, gehabt, dem Staatssekretär unter den Reichspräsidenten Ebert,
Hindenburg und Hitler, den Hitler wegen seiner Loyalität 1934 von Hindenburg
übernahm.
Insgesamt sind aber faszinierende Einzelportraits entstanden, die ein
interessantes Bild über die wichtigsten Persönlichkeiten und Steigbügelhalter
des "Dritten Reiches" geben und somit dem "Biographischen Lexikon
des Dritten Reiches" weit überlegen, sofern die handelnden Akteure hier
portraitiert worden sind.