Dem Orbis-Verlag gebürt das Verdienst, das bis heute unübertroffene
Standardwerk des langjährigen Spiegel-Redakteurs Heinz Höhne im Jahre 2002 in
einer konkurrenzlos billigen Ausgabe neu aufgelegt zu haben.
Die Geschichte der SS wird von ihrer Entstehung bis zum blutigen Ende
aufgezeigt. Deutlich wird dabei gemacht, dass die SS keine monolithische
Organisation gewesen ist, sondern eine Parteiformation war, die widersprüchlich
und heterogen gewesen ist - wie die Struktur des Dritten Reiches selber, welches
von Forschern zu recht als "Doppelstaat" tituliert wurde. Vielleicht
betont Höhne diesen Aspekt fast zu sehr: seine Feststellung von 1967: "Das
Dritte Reich war kein totalitärer Staat, wohl aber dessen Karikatur" ist
heute historisch überholt und wird von ihm weiter unten auch relativiert:
"Total war im natonalsozialistischen Deutschland nur der Wille
Hitlers." Die "Polykratie" des Dritten Reiches war von diesem
absichtlich herbeigeführt worden: so konnte er als (unangreifbarer) Oberster
Schiedsrichter fungieren, wie Höhne selber schreibt: "Zudem gehörte es zu
Hitlers Führungskunst, das Zentrum politischer Macht in den Reihen der engsten
Mitarbeiter ständig zu verlagern, um das Aufkommen unerwünschter Rivalten zu
verhindern. ein ungeschriebenes Gesetz der Führerdiktatur sagte, nirgends
dürfe eine staatliche oder gesetzliche Struktur entstehen, die Hitlers
Bewegungsfreiheit einenge." So war es. Die SS war die
"Prätorianergarde" Hitlers, die "bewußt den Schreckenseffekt
ihrer Existenz" pflegte. Selbst Außenstehende wußten nichts über
Himmlers und Heydrichs Organisation. Deren Geschichte wird akribisch auf 600
Seiten dargestellt, wobei das Quellenmaterial wirklich eindrucksvoll ist.
Man muß hierbei bedenken, dass das Buch - obwohl 2002 erneut veröffentlicht -
den Forschungsstand von 1966 spiegelt, eine Überarbeitung - auch der Literatur-
und Quellenbelege oder des Vorwortes - gibt es nicht. Wer hier mehr erfahren
will, sollte zu dem - allerdings nicht primär für Wissenschaftler, sondern
für den Laien zur Erstinformation und Einführung gedachte - Werk der
Geschichte der SS von Guido Knopp
greifen, welches den neueren Forschungsstand eindrucksvoll dokumentiert und
ebenfalls gut recherchiert ist.
Besonders eindrucksvoll fand ich das Kapitel: "Machtergreifung" und
"Röhm-Putsch". Hier wurde - meines Erachtens erstmalig - das finstere
Zusammenspiel zwischen konservativen Kräften um Vizekanzler von Papen, mit
dessen Marburger Rede am 17. Juni 1934 die "Krise" ausbrach, den
Parteirivalen Röhms, insbesondere Himmler, Heydrich und Göring sowie
Exponenten der Reichswehr (Blomberg, Reichenau) ausdrücklich dargestellt. Auch
der furchtbare Beitrag der SS, die als Terrororganisation die "Endlösung
der Judenfrage" exekutierte und laut Höhne für die Ermordung von vier bis
fünf Millionen Juden, 2,5 Millionen Polen, 520 000 Sinti und Roma sowie 473 000
russischer Kriegsgefangerer (mit-)verantwortlich war, wird hier in einer
eindrucksvollen Pionierleistung dargestellt. Auch die Geschichte der Waffen-SS
wird kurz skizziert, obwohl hier nur ein erster Eindruck vermittelt werden kann.
Das Standardwerk hierüber ist das Buch von George H. Stein, welches Höhne auch
ausführlich würdigt.
Fazit
Das Buch stellt insgesamt nicht nur eine bedeutende Pionierleistung auf dem
Gebiet der Forschung dar. Es ist - das bis heute unübertroffene - Standardwerk
zur Geschichte der SS, wenn auch - und dies ist als einziges zu monieren - auf
dem Forschungsstand von 1966. Ansonsten schlicht hervorragend und für Laien und
Wissenschaftler bis heute das Beste, was zur Geschichte der SS publiziert worden
ist.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 07. April 2004 2004-04-07 13:44:23