Justyce McAllister schreibt an den 1968 ermordeten Dr. Martin Luther King jr.,
mit dessen Biografie er sich für sein Referat in der 10. Klasse beschäftigt
hat. Der Schüler aus Atalanta/Georgia besucht als einer von nur acht schwarzen
Schülern eine feudale Prep School. Justyce (Jus) hat ein herausragendes
Ergebnis im Test seiner Hochschulreife hingelegt und wird für sein geplantes
Jurastudium sicher ein Stipendium erhalten. Doch ein einziger schwarzer
Vorzeige-Lehrer als Vorbild ist für Justyce definitiv nicht ausreichend, um
sich an seiner Schule wohl zu fühlen. Seit vor kurzem in Nevada ein schwarzer
Jugendlicher von der Polizei erschossen wurde, bezieht Justyce die Gefahr real
auf sich, als Junge aus einem "schlechten" Stadtviertel von weißen
Polizisten schikaniert zu werden und durch die Überreaktion eines schlecht
ausgebildeten Polizisten sein Leben zu lassen. Obwohl er bisher nie im
Gangsta-Look aufgetreten ist, passiert Justyce, was er befürchtet hat – er
wird von der Polizei kontrolliert und verhaftet, weil ein Schwarzer im Hoodie
zwangsläufig kriminell sein muss. Als Quan, der Cousin von Jus‘ Freund Manny,
einen Polizisten tötet, der ihn drangsaliert hat, ist jedem klar, dass ein
weißer Polizist im umgekehrten Fall straffrei davon kommen würde, wenn er Quan
erschossen hätte.
Justyce Beziehung zu Emmanuel (Manny) und der Jahrgangsbesten Sara-Jane (SJ)
zeigt seine schwierige Lage aus weiteren Perspektiven. Mannys Mutter als
Psychologin und schwarze Akademikerin könnte eins der raren Vorbilder für
Justyce sein. Doch ihm wird umso deutlicher, dass Schwarze und Weiße keine
gleichen Chancen haben, je länger er sich mit der US-amerikanischen Geschichte
beschäftigt. Die amerikanische Verfassung hat offenbar nur weiße Männer
gleichgestellt, aber nicht alle Menschen. Jared wiederum sieht das genau
umgekehrt; denn er vermutet, dass er nur deshalb keinen Studienplatz erhält,
weil die Uni eine Quote für begabte schwarze Schüler festgelegt hat. Zwischen
ihm und Justyce spitzt sich die Frage zu, wer für ein Studium geeignet ist und
wer den Platz verdient hätte. Justyce ärgert sich zunehmend darüber, dass
Manny so viel Zeit mit Leuten herumhängt, die sich Schwarzen gegenüber
respektlos verhalten oder sie ausnutzen. Zugleich wird aus der Community
schwarzer Jugendlicher die Erwartung an ihn laut, Justyce solle endlich schwarze
Codes und Bezüge verinnerlichen und entsprechend Partei ergreifen. Bleibt
nicht zuletzt die Frage zu klären, ob Justyce bei Sara-Janes jüdischen Eltern
als x-beliebiger schwarzer Jugendlicher auch dann willkommen wäre, wenn er kein
Musterschüler wäre und sie sich durch ihn keinen positive Einfluss auf SJs
Schulleistungen versprechen würden…
Justyce hat viele Fragen an Martin Luther King jr., während er beim Schreiben
seine Lage analysiert. Antworten kann er nicht erwarten. Aber wie King es damals
geschafft hat, trotz aller Anfeindungen seine Würde zu bewahren, die Antwort
könnte Justyce heute weiterhelfen …
Fazit
Justyce McAllister sitzt zwischen mehr als nur zwei Stühlen; denn die
Anforderungen an einen schwarzen Musterschüler sind widersprüchlich in einer
Gesellschaft, in der Polizisten in ihrer Freizeit offen bewaffnet unterwegs sind
und ein weißer Polizist nicht irren kann. Dem Black Man’s Curse kann Justyce
zwar nicht entkommen, aber die gläserne Decke zur Karriere gesellschaftlicher
Aufsteiger darf gern öfter so kraftvoll beschrieben werden wie Nic Stone es
hier tut.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 06. Mai 2018 2018-05-06 13:34:32