Düster und anstrengend
Kein gutes Haar lässt Drndic seinen Protagonisten an seinem (ehemals)
beruflichem Umfeld, an seinem welkenden Körper, am Zustand der Welt (konkret in
Jugoslawien, zur Zeit des Krieges und in der Gegenwart) und, vor alle, an sich
selbst und dem eigenen Leben lassen. Was nicht einer Art depressiven Veranlagung
geschuldet wäre, sondern sich, Seite für Seite, ernüchternd aus der
Ich-Erzählung des Romans aus Sicht des Andreas Ban als fast "nackte Fakten
des Lebens" den Raum des Buches betreten.
Die Wirbelsäule. Dieses Ergebnis eines Ultraschalls danach. Die Erinnerungen
aus den Kriegsjahren. Die ehemalige "Weitung der Welt" des gelehrten,
echten Intellektuellen, des Professors Andreas Ban, der zum Ende seiner Tage hin
doch wieder am Ausgangspunkt landet, provinziell wieder lebt und düster
bemerkt, wie ineffektiv, ja fast sinnlos so vieles an Worten, Sitzungen, Denken
am Ende war.
Ein Roman aber auch, der die Härten des Lebens, den tödlichen Verlust von
Lieben, den Verfall des eigenen Körpers (und vor allem des eigenen Willens) auf
den Punkt bringt. In einer treffenden, aber in der assoziativen Form des
"hin- und her Springens" der Gedanken des Andreas Ban auch teils
überaus anstrengenden Lektüre. Die vielfach aus Reflexionen besteht, denen
eine fortlaufende Geschichte, Handlungen, Erlebnisse, denen der Leser sich mit
anschließen könnte, nur phasenweise zur Seite stehen.
Und zudem, einfach ist es ebenfalls atmosphärisch nicht, diesen stetigen
"inneren und äußeren Abgrund" durchgehend zu lesen, Pausen braucht
es teils fast zwingend, da sonst die eigene Welt beginnen könnte, sich
"einzutrüben". Denn keines der Themen, die Andreas Ban freiwillig
oder notgedrungen bewegen, setzt ein Hoffnungszeichen an den Horizont. Weder der
Schwager, der in einer Nervenheilanstalt sitzt und sich "multiplen
Persönlichkeiten" ergeben hat, noch der Blick in die Vergangenheit jener
Kriegsjahre, in denen soviel des alten Jugoslawiens zerstört wurde.
Sein Beruf? "Diese Fakultät, die wie jede Philosophische Fakultät eine
intellektuelle Elite ausbilden sollte, produziert vor allem Duckmäuser, die
sich in ihren Mauselöchern vermehren, viel reden und wenig sagen. Nicht ein
Laut ihres leisen Gemurmels dringt aus den Hörsälen nach draußen".
Wobei, auch das seine Meinung, das "da draußen" eh keinen
interessieren würde im Hamsterrad der "Konsum-Welt".
"…bildet sich viel auf ihre originären Beiträge zur
Literaturwissenschaft ein, fabriziert aber nur belanglose Aufsätze zu
literarischen Werken….und mit ihrer Interpretation liegt sie immer
daneben".
Und er selbst? Seine Meinung interessiert nicht mehr. "Sie sind Geschichte.
Einfach, weil sie bald weg sind und ich bleibe", so ruft es ihm in drögen
Besprechungen entgegen. Und doch, gerade weil ihn die Gesundheit einholt, gerade
weil ihm finanzielle Mittel fehlen (schon für neue Schuhe reicht es kaum, für
Zerstreuung noch weniger), ist sein Inneres der einzige Ort, der ihm bleibt, in
den er mit Grauem versinkt. In all diese blutigen Momente des Jahrhunderts. In
die verstorbenen, geliebten Menschen. In dieses "Ausgeschieden werden"
von der Welt, dass Tausende von Ideen inzwischen gesehen, gelesen, verworfen und
am Ende doch nur nach niederen Motiven hin ausgerichtet diese Welt geformt,
getreten und bewegt hat.
Die "Kraft des Geistes"? Aber nein, immer klarer wird ihm die
unwichtige Rolle all dessen, was da an Universitäten eifrig, aber immer auch
angepasst, gedacht und beredet wurde. "Andreas Ban hat sich ausführlich
mit dem Ende der Intellektuellen beschäftigt und darüber publiziert". Wie
immer ohne Folgen, natürlich. "Ein Vermeidungstheater, das auf Klischees
beruht".
Harte Urteile, breite Hoffnungslosigkeit, ein fast vernichtender Blick auf die
gerade erst kurz zurückliegende Geschichte, dunkel und düster. Aber, das muss
gesagt werden, eine Sicht auf die Welt, die ihr Recht hat. Die nicht verbrämt,
die nicht Optimismus um jeden Preis predigt, sondern sich mit Versagen, Diktatur
und Vergänglichkeit offen und offensiv auseinandersetzt.
Fazit
In Form und Stil und Inhalt ein sich zu erarbeitender Roman, der nicht
sonderlich gut unterhält, sondern den Leser mit den düsteren Seiten des
Mensch-Seins, dem brachialen Mord an Millionen Juden im zweiten Weltkrieg und
mit einer tiefen Sinnlosigkeit des intellektuellen Schaffens konfrontiert. Das
aber in dieser Form hervorragend, emotional schwer erträglich, in Szene setzt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 02. Mai 2018 2018-05-02 10:11:16