In ganz eigener Atmosphäre
"Er träumte von einer Welt ohne Menschen, oder zumindest einer A66 ohne
Menschen, zumindest ohne Menschen vom Schlag des Mannes in dem Audi, hinter dem
er jetzt abbremsen musste".
Mit blumiger und, in Teilen, überaus lakonischer Sprache bringt Alexander
Schimmelbusch in seinem neuen Roman Dinge, Gefühle, Zustände der
kapitalistischen Welt der Gegenwart auf den Punkt. Ohne in Gesellschaftskritik
mir moralin-saurem Ton einzufallen, sondern durchweg beschreibend, suchend,
seinen "Victor", einen der "Big Player" im
Investmentbanking, auf eine ganz eigene, innere und äußere Reise schickend.
Die zunehmenden Aggressionen im Straßenverkehr sind da nur eine unter vielen
"nebenbei-Fußnoten", mit denen Schimmelbusch einen großen Spiegel
des Alltagslebens aufhängt. Sei es die immer sehr konkrete, detaillierte
Beschreibung von Markenkleidung, von "Ausstattung", oder von der
Zubereitung von Essen (gerade en vogue).
"Aber über den Ambientefaktor den zeitgeistigen Konsumenten anzulocken,
der langes Anstehen vor dem Front-Cooking-System als Teil des kommunikativen
Erlebnisses und dynamischen Spirits des "Fresh-casual-Konzepts begriff –
dieser Ansatz war Victor einfach zu menschenverachtend".
Was den Mann nicht hindert, in seiner Firma seine "Broker" wie
Galeerensklaven zu behandeln. Wohltaten, Work-Life-Balance, Zeit für
ordentlichen Schlaf. Auf solche Ideen würde Victor nicht kommen. Der selbst
nicht mehr wohin weiß mit dem Geld, wahlweise mit seinem High-End
Elektro-Porsche die Gegend bereist, in seinem Pracht-Haus im "Felssee"
(künstlich angelegt) plätschert oder seine Mountainbikes bewegt oder, auch das
regelmäßig, die Ehefrau seines Nachbarn unverbindlich "beglückt".
Auch in deren Küche, deren Markengeräte und "Stil" dem Leser
ausführlich vor Augen geführt werden wird. Wobei das über die Strecke des
Romans allen zwar lustig bis nervend zu lesen wäre, Schimmelbusch aber eine
ganz andere, übergreifende, politische Dramaturgie ab der Mitte des Werkes
beginnt zu verfolgen, die den Leser bis zum Ende mit Spannung einfängt.
Denn Victor ist, unschwer zu erkennen, letztlich einfach leere und gelangweilt.
Wie überhaupt dieses "Markengerede" im Buch und Viktor selbst an
"American Psycho" erinnert. Nur dass Victor eben nicht anfängt,
teilnahmslos Blutbäder anzurichten, sondern durch seine beginnenden Kontakte in
die Politik (bestens getroffen im Übrigen die "Typen" der
professionellen Politik, die Schimmelbusch pointiert und ohne Scham im Buch
entblößt) einen anderen Plan beginnt, mit zu entwickeln: Die "Deutschland
AG" als politische Kraft. Mit dem "Muselmanen" Ali, seinem
Freund, an der Spitze. Mit einem von Victors genialen "Pitches", der
minutiös umgesetzt wird.
"Mit ihrer Rhetorik der radikalen Chancengleichheit hatte die DAG dem
linken Spektrum keine Luft zum atmen gelassen... Mit ihrem Fetisch für Leistung
und dem Theaterdonner debei der Migration hatte die DAG zudem die Liberalen und
die Playmobil-Nazis auf ihr jeweeilige Kernklientel heruntergeprügelt
(Zahnärzte, Anwälte und, andererseits, Fremden-Frauen-, Juden-, Araber-,
Hipster-, Schwarzen-, Politiker-, Linken- und Journalistenhasser).
Was das für ein Programm ist, wie das quasi "perfekt werbetreibend"
aus dem Stand Erfolg hat und wie das alles endet, für Victor persönlich, aber
auch für die Idee eines "dominanten Deutschland", all das ist am Ende
mit Wucht zu lesen.
Fazit
Auch wenn im Roman Längen zu überstehen sind und die x-te Darstellung von
Feinkostplatten-Herrichtung auch mal nervt, sowohl die in sich leere
Persönlichkeit des Victor als auch die vielen kleinen Elemente, die eine
Gesellschaft im Gesamten ausmachen und die Konsequenzen der absoluten Leistungs-
und Effektivitätsorientierung der Gegenwart weiß Schimmelbusch mit ganz
eigenem Stil larmoyant und fesselnd zu erzählen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 02. Mai 2018 2018-05-02 10:00:48