Nora Sand arbeitet als England-Korrespondentin der dänischen Wochenzeitung
Globalt in London. Als sie Manash Ishmail interviewen soll, einen nach London
geflüchteten iranischen Dichter, bringt die Anfrage Nora in einen unlösbaren
Konflikt. Der im Westen preisgekrönte Autor Manash bietet ausdrücklich nur
Nora Sand ein Interview an im Austausch gegen Hilfe bei der Suche nach seiner
Frau. Auf der Flucht ist das Paar getrennt worden. Manash sitzt in einem
Flüchtlingslager in Dänemark fest; Iran hat bereits seine Auslieferung wegen
terroristischer Aktivitäten gefordert. Weder zum Lektor seines englischen
Verlages kann der Autor Kontakt herstellen noch zu seiner Frau, die sich zuletzt
aus England gemeldet hat. Noras Chef gibt ihr genau zwei Wochen Zeit für die
Recherche. Falls sie Amina bis dahin nicht aufgespürt hat, ist der Deal mit
Manash zwangsläufig hinfällig, weil Nora die Gegenleistung nicht erbracht hat.
Als sich herausstellt, dass auch Aminas Bruder Aziz verschwunden ist und in
Dänemark die Geheimpolizei Manash im Flüchtlingslager verhört hat, scheint
der Fall selbst Nora als bestens vernetzte Journalistin zu überfordern. Auf der
Suche nach der Frau des Poeten bringt sie nicht nur reichlich dubiose
Geschäftspraktiken bei privaten Betreibern von Gefängnissen und
Abschiebelagern ans Licht, sondern stört offenbar zusätzlich die Verhandlungen
zum Atom-Abrüstungsverfahren mit dem Iran. Nora Sand berichtet - ähnlich wie
die Autorin früher selbst - auf hohem journalistischem Niveau über Kriege,
Konflikte und organisierte Kriminalität. Mit diesem Hintergrund ist sie die
ideale Besetzung, um Zustände ans Licht zu bringen, die die Öffentlichkeit in
der EU lieber verdrängen würde. Als Nora schließlich parallel an mehreren
Fronten kämpft, muss sie sich sogar fragen, ob ihr Lebens-Partner Andreas evtl.
vom Geheimdienst auf sie angesetzt sein könnte und ihre Beziehung nur Fassade
ist.
Das Meer spielt in Lone Theils höchst aktuellem Kriminalroman keine Rolle; den
Originaltitel (sinngemäß Frau des Poeten) hätte ich hier passender gefunden.
In direktem, leicht ironischem Ton entwickelt Lone Theils einen komplexen Plot,
der Profiteure der aktuellen Flüchtlingskrise entlarvt. Durch Nora Sands
Arbeitsweise in einem dichten Netz beruflicher Kontakte könnte man neben der
Krimihandlung das Netzwerken als zentrales Thema des Romans sehen. Je heikler
ein politischer Konflikt im Roman, umso spezialisierter und damit interessanter
für die Leser sind auch hier die Nebenfiguren. Nora kann als Unterstützer bei
ihren Recherchen auf ihren Bruder als IT-Crack, einen erfahrenen Fotografen und
eine sprachgewandte Rechercheurin mit direkten Kontakten in den Iran
zurückgreifen. Eine Vielzahl von Nebenfiguren, die mit Flüchtlingen und
Asylsuchenden arbeiten, vermitteln unterschiedlichste Sichtweisen auf die
Flüchtlingskrise in Europa.
Fazit
Spätestens mit diesem zweiten Roman, der zugleich in England und Dänemark
spielt, hat Lone Theils sich als Autorin komplexer Krimiplots mit einer bestens
vernetzten Ermittlerin etabliert.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 24. April 2018 2018-04-24 08:54:16