Empathisch und bestens erzählt
Sommer 1962. Der fast 13jährige Trompeter der Pfadfinder im Lager, seit einiger
Zeit mit einem Zelt ganz für sich alleine, braucht keinen Wecker. Zuverlässig
wacht er auf, um sein Signal zu geben. Eine uramerikanische Tradition, kann man
sagen, auch wenn die Pfadfinder nicht dort gegründet und weltweit tätig sind,
dieses Lagerleben, diese feste Einrichtung im Leben so vieler Jugendlicher hat
durchaus etwas amerikanisch-prägendes in dieser Form.
"Er würde bereit sein, ein zweites Feldbett aufzustellen. Er würde
hilfreich, freundlich, höflich, liebenswürdig und stets munter und vergnügt
sein".
Werte, die er sich gibt, die er im Lager als einer der jüngsten aufsaugt und
Werte, die ihn durch all die Jahre und Jahrzehnte seines Lebens begleiten
werden, die der Roman umfasst. Denn auch am Ende der Geschichte wird Nelson, der
kleine Trompeter, noch Pfadfinder sein. Verantwortlich, loyal, Sicherheit
gebend, soweit er es vermag. Und ein Streber, das kann man zu der Zeit nicht
anders sagen. Wie überhaupt natürlich durch den ganzen Roman hindurch
amerikanische Alltagssituationen, Bräuche, Lebensweisen eine feste Rolle
spielen.
Und dennoch, das, was Butler mit seiner Geschichte und durch diese hindurch zu
erzählen hat, hat allgemein menschliche Tiefe, bietet Einblick in Herzen
(übrigens nicht nur von Männern, auch wenn zwei Männer die Hauptfiguren des
Romans bilden), der allgemeingültig ist, der in seiner dichten, präzisen,
emotionalen Schreibweise jeden Leser in den Bann zu ziehen vermag. Denn überall
auf der Welt wäre das gleich verletzend, zum Verzweifeln, niederschmetternd.
Wenn man Wochen zuvor mit Liebe viele Einladungen zu seinem 13 Geburtstag
geschrieben hat, die Mutter alles mit Liebe vorbereitet hat und dann niemand,
keiner kommt. Den ganzen Tag lang nicht.
"Nelson hatte keine Freunde" - in diesem Alter, in dem es um
Sportkanonen, Cheerleader, um klassische Attitüden von Erfolg geht, da kann er
nicht mithalten.
"Während des Abendessens fiel es ihm schwer, seine Tränen
zurückzuhalten, und als sie dann kamen, flossen sie ihm heiß und ungestüm an
den sonnenverbrannten Wangen herab" - was den Vater den Gürtel zur Hand
nehmen lässt, denn Männer weinen nicht (es gibt einige verschiedene
"Männerherzen" im Buch, keine Frage).
Bis dann, plötzlich, die Rettung, Jonathan auftaucht. Kaum Freund, entfernter
Bekannter und genau das, was Nelson nicht ist. Ein Sonnyboy, ein
"All-American Boy". Der nur kurz bleibt, aber eine Verbindung sich
schließt, die das Leben begleitet. So erzählt von da an Butler die Geschichte
der beiden Männer und ihrer Familien, Frauen, Nachkommen (so es welche geben
wird), die inneren Entwicklungen und das, was beide dauerhaft verbinden wird.
Mit "männlicher Ausprägung", in der der eine Weisheit und
Lebensklugheit und Reichtum erlangen wird und der andere Aufrichtigkeit und
Standhaftigkeit im Leben lebt. "Ein enger Freund aus Kindertagen, stimmt
das überhaupt? Was haben sie einander bedeutet? War es nicht viel mehr ein sehr
dünnes, fragiles Band, das sie zusammengehalten hat? Sommerferien, Briefe,
gelegentliche Treffen"?
Fazit
Eine Geschichte, die lohnt, gelesen zu werden, wenn aus einem unbeachteten,
bedrückten kleinen Jungen jemand wird, für den sich der gesamte Paradeplatz
füllen wird mit allem, was die Welt vom Müllmann bis zum Star, vom Kellner bis
zum Professor, zu bieten hat. Für ein Lebenswerk, das nicht ohne Grund am Ende
in eine gefahrvolle Situation zur Rettung einer Frau führen wird. Denn die
Fragen, was für ein Mann man sein möchte und was es an Männerhaltungen im
Umfeld gibt, um sich daran zu orientieren oder zu distanzieren, diese Frage
durchzieht den Roman als hintergründiger, roter Faden.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 31. März 2018 2018-03-31 11:32:57