Orientierung und Kompass
Bekannt ist Hüther aus seinen Beiträgen zur Bildung ("Etwas mehr Hirn
Bitte"), aber auch zur Demenz ("Raus aus der Demenzfalle").
Grundverschiedene Themen, könnte man auf den ersten Blick sagen, aber aus
neurobiologischer Sicht eben alles eine Frage "des Kopfes", des
Gehirns, des Verstands. Was auch für das aktuell nun vorliegende Thema gilt:
Würde.
Für Hüther nicht auf einzelne, konkrete Momente des Lebens bezogen
("Würdig einen Anlass begehen. Würdig Sterben") sondern vielmehr,
und das ist überaus interessant zu lesen, eine "Grundhaltung des
Lebens", welche der Mensch benötigt, um dieses, sein Leben zu Gestalten
mit klarer Linie. Mit, wie immer, auch dem schönen Schuss trockenen Humors an
den rechten Stellen ("In diesem Buch erfahren sie nicht, wie sie noch
schöner und noch erfolgreicher werden können" in Anspielung auf tausende
Ratgeber zur "Selbstoptimierung", die einem in Teilen fast schon eher
die Würde nehmen, als den Menschen innerlich wirklich aufzurichten). Ein Werk,
dass nicht angetrieben ist vom Effizienzdenken und Erfolgsstreben der Zeit. Und
das nicht nur, weil Hüther ein "anderes Gleis" befahren würde, ein
"Thema neben all dem" zum Kern macht, sondern klar und deutlich
"auf Konfrontation geht".
"…denn die Wiederentdeckung des Gefühls oder gar die Bewusstwerdung der
eigenen Würde ist mit dem, was dieses Streben nach Anerkennung des Erfolgs dem
Menschen abverlangt, unvereinbar".
Ein Buch genau in den Moment zunehmender Verunsicherung der Welt, in dem
tatsächlich eine klare Orientierung not täte, in dem vielfache öffentliche
Diskussionen und Äußerungen gegeneinander zu stehen scheinen, den Menschen
ratlos eher zurücklassen, denn zur Klärung beizutragen. Mit einer immer
stärker spürbaren Suche nach Orientierung, nach tragfähigem Grund. Was nicht
unbedingt die "Würde" dann alleine ist, wozu eine "würdige
Haltung" und eine innere Klärung aber unabdingbare Voraussetzungen
darstellen.
"Zu viel Durcheinander im Gehirn verbraucht zu viel Hirn". Ordnung,
Komplexitätsreduzierung muss also her. Und Hüther zeigt sachlich und ruhig
auf, wie dieser Weg in eine gewisse innere Ordnung gegangen werden kann.
Appelle, Vorgaben, politische Rahmungen scheinen da, wie man sieht, nicht
unbedingt wirksam Hilfe zu bieten. So leitet Hüther die Notwendigkeit
"innerer Instanzen" folgerichtig her.
"Und manche Vorstellungen entwickeln wir auch, weil sie uns helfen, wir
selbst zu bleiben".
Dass dies "Würde" ist und wie dieses eher altertümlich klingende
Wort neu zum Leben erweckt wird, das ist eine lohnenswerte Lektüre, die stark
zur eigenen Besinnung und Reflexion einlädt. Auch wenn, vom Fach und vom Buch
her, zunächst der Intellekt gefordert und der Verstand überzeugt wird, auch
die Verankerung im emotionalen Bereich setzt Hüther als wichtiges Element und
vergisst diese nicht, wenn er das "innere Bild" ins Spiel bringt, dass
den "Kompass" liefern kann (im Kapitel: "Wie entsteht das
Bewusstsein für die eigene Würde". Umfassend widmet Hüther sich dem
Thema, verweist auf die "Un-Würde des Menschen", der sein Biotop
zerstört (mit vielen kleinen, lokalen Beispielen) und wird nicht müde,
"Auch wird niemand, der sich seiner Würde bewusst ist, andere Menschen
würdelos behandeln, sie also zum Objekt seiner Absichten, Bewertungen oder gar
Maßnahmen machen". Und nicht nur andere Menschen nicht.
Fazit
Ein Buch mit Sprengstoff für das moderne Leben, das Würdelos macht und in
innere, getriebene Sklaverei "den Mächten" gegenüber führt und ein
Plädoyer für ein inneres Erwachen, dies nicht mehr alles mit sich machen zu
lassen und auch nicht anderen anzutun.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 21. März 2018 2018-03-21 10:04:10