Franka Raben bringt ihre Katze Käthe im Korb mit, obwohl ihre Großmutter keine
Katzen mag. Die Kunststudentin muss Wartezeit für ein Stipendium
überbrücken und will in dieser Zeit ihren Vater bei der Pflege ihrer
Großmutter unterstützen. Nach einer Reihe von Zivildienstleistenden hat er die
Versorgung seiner schwerkranken Schwiegermutter übernommen. Für beide ist die
Situation peinlich; und als multimorbide Patientin könnte Oma Maria inzwischen
durchaus Zeichen von Demenz zeigen. Trotz ihrer schweren Krankheit zeigt Maria
noch immer Stil und will die Rolle der Patriarchin nicht abgeben.
Franka fremdelt anfangs in Omas Haushalt, obwohl sie als Kind so gern hier war.
Zumindest ihren Vater kann Franka aufmuntern, der sich von der schwierigen
Patientin ausgenutzt fühlt und nicht glauben will, dass sie so schwach sein
kann, wie sie sich gibt. Franka muss ihren Traum von der Künstlerkarriere auf
den Prüfstand stellen, der für jemanden aus bescheidenen Verhältnissen wie
sie und ohne nützliche Beziehungen vielleicht zu hoch gegriffen ist. Wie soll
sie im Mittelmaß erkennen, ob sie mehr als dieses Mittelmaß leisten kann?
Während ich mich als Beobachter von außen noch fragte, wie Franka und ihr
Vater in einem winzigen Häuschen irgendwo auf dem Dorf die Pflege einer
Schwerkranken meistern werden, zeigt sich Maria als harter Brocken. Sie
verfällt zunehmend in den knarzenden, schwer verständlichen Dialekt ihrer
vogtländischen Heimat und macht mit ihrer Nörgelei ihren Betreuern das Leben
schwer. Doch aus der Wiederholungsschleife von Marias Erinnerungen entfaltet
sich eine charakteristisch ostdeutsche Familiengeschichte. Oma Marias Vater war
Maurer; sie stammt aus einfachen Verhältnissen, in denen ein Mädchen sich
eine Ausbildung erst erkämpfen musste. Ihr Leben lang hat sie die Krümel
zusammenkratzen müssen und stets den Mund halten gegenüber Höhergestellten,
um zu überleben. Ihre in schlechten Zeiten ausgebildete
Eichhörnchen-Mentalität wird Marias Generation nicht wieder ablegen. Bis heute
erinnert sie sich an Szenen aus dem letzten Kriegsjahr, an Berge von toten
Soldaten. Frankas Mutter wurde zu DDR-Zeiten ein Studienplatz als Lehrerin
zugeteilt. Erst als ihr Vater Dachziegel gegen ihren Wunsch-Studienplatz
eintauscht, kann sie Kunst studieren, um später als Museumsführerin zu enden.
Auch Frankas Vater kann seinen Traum nicht leben, als Kunsthistoriker den alten
Glanz seines Landes zu erforschen, um ihm neuen Glanz zu verschaffen. Er
verbringt Jahre in der SU der Gorbatchow-Zeit und wirft seinen Dozentenjob
schließlich hin. Von Maria in ihrer abweisenden Art hatte ich am allerwenigsten
erwartet, dass sie noch am Ende ihres Lebens Einblick in ihre
Familiengeschichte zulassen würde. Anekdoten zeigen sie als ausgesprochen
humorvolle Person, die sogar den Stasi-Mann veralberte, der sie anwerben wollte.
Für Franka erweist sich die Zeit mit Maria als unerwartete Verschnaufpause, in
der sie einmal nicht über ihre Zukunft nachdenken muss und ihren Vater mit
anderen Augen zu sehen lernt.
In der Gegenwart kündigt sich ein gewaltiger Schneesturm an, so dass die
Pflegenden entscheiden müssen, ob sie Maria im Krankenhaus lassen oder sich
darauf einrichten wollen, länger von Hilfe von außen abgeschnitten zu sein.
Fazit
Mareike Schneider erzählt sprachlich originell die Anti-Weihnachtsgeschichte
einer Sippe aus der ehemaligen DDR. Am Ende sind West-Lametta,
Ost-Christbaumspitze und die neunerlei Schnittchen aus Marias Heimat vereint,
die Gästen Glück bringen sollen.
Vorgeschlagen von Helga Buss
[Profil]
veröffentlicht am 16. März 2018 2018-03-16 13:12:59