Wunderbar erzählter Lebens-Roman
Da ist der Schriftsteller. In der Gegenwart. Der einen Stoff
"irgendwie" im Kopf hat und auch unter leichten Druck gerät, mal
wieder was vorlegen zu müssen. Das Leben will ja finanziert sein. Dumm, wenn
man dann merkt, dass der geplante Stoff einen wenig mitreißt und nicht recht
funktioniert. Gut wiederum, wenn man aus einer bestimmten Periode seiner späten
Jugend und jungen Erwachsenenjahre Tagebücher besitzt. Und diese, als Buch im
Buch quasi, in einen Roman verwandeln kann. Hitzig wird, die Finger wie von
selbst zunächst transkribieren, sich Erinnerungen formen.
An eine Zeit Ende der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts, als man Student nur
wegen der Vorteile der Einschreibung war und nie eine Vorlesung besucht hatte.
Als "die WG" das Zentrum des Lebens war, als "die eigene
Band" Dreh- und Angelpunkt des Alltags ist. Als Alkohol und manch andere
Substanz in Strömen floss. In dieser kleinen Stadt, die wenig Perspektive zu
bieten hat, wo es schon ein Höhepunkt ist, in der Nachbarschaft in Quakenbrück
mal in einer Halle als Band auftreten zu können. Wobei Auftritt zu viel gesagt
ist. Was an den strömenden Substanzen liegt, aber, und das wird zum Zentrum der
Erzählung, an der Trennung von der langjährigen Freundin. An der Eifersucht,
die darauffolgt. Daran, wie einem der Boden unter den Füßen weggleitet von
diesem "Abfall eines Herzens", das einem doch innerlich die Welt
bedeutet.
Wobei, und das ist klug gewählt als Titel, das ja nur ein "Herz"
betrifft. Doch der Plural des Titels macht überaus Sinn. Denn nicht nur eine
(verlorene) Liebesgeschichte erzählt Nagelschmidt durch die Augen seines, in
der Gegenwart mittelalten und damals jungen Protagonisten, sondern auch die
Änderungen, die durch Ort und Zeit selbst allmählich in den Raum treten. Denn
auch "die WG" und "DIE Band" sind, der Leser ahnt es schon
zu Beginn, eine Art Zeitblase, die keinen Bestand auf Dauer haben kann.
Ausbildungen, Projekte, die Zukunft gestalten wollen, das wird nicht Wenigen im
Buch widerfahren und aus den Grenzen der vertrauten Umgebung herausführen
müssen. Herzen eben, die nicht im Bösen, aber doch voneinander abfallen, deren
Wege sich trennen. Eine Trennung, auf die hin es sich entwickelt und die weitere
Entwicklungen auslösen wird.
Die allesamt und allen das Buch belebenden Figuren von Nagelschmidt mit Sorgfalt
und in wunderbar lesbarem Ton im Roman balanciert und verfolgt werden. Mit all
den Peinlichkeiten des "Stalkens" der ehemaligen Freunden, der
tränenreichen Verzweiflung, aber auch den kleinen, gelungenen Einblicken in die
Essgewohnheiten der stolzen WG, Einblicke in überaus vertaubte, bürgerliche
Kneipen, in denen ein "Cola-Rum" gerade noch hergestellt werden kann
(neben dem "Herrengedeck") bis zur "Abschlepp-Disco". Gut,
dass der Protagonist im Buch seine Meinung geändert hat. Denn zunächst sagt er
entschieden:
Fazit
"Weil ich darüber nicht mehr schreiben will. Jugend und Kleinstadt, Musik,
Gewalt, Liebeskummer. Dieser ewige Gonzoporn".
Denn heraus kommt ein lebendiges, unterhaltsames, Erinnerungen auslösendes Werk
über das Jung sein, die Trennungen des Lebens und das sich zurecht finden
müssen in einer dann anderen, der "erwachsenen" Welt, ohne diese
Jugend wirklich aus sich heraus verbannen zu können.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 01. März 2018 2018-03-01 13:46:09