Interessante, neuartige Sichtweise
Nicht ohne Konzentration und, vor allem, nicht ohne Interesse am Thema, kann die
Lektüre dieses, auch in Sprache und Form wissenschaftlich gehaltenen, Fachwerks
gelesen werden. Eine Lektüre aber, die sich lohnt. Zum einen (sicherlich für
einen eher engeren Interessentenkreis ähnliche Fachrichtungen), was den Kern
der Arbeit Sedlmaiers angeht.
"Radikale Konsumkonzepte gingen aus sozialen Bewegungen hervor, die auf
sozialen Wandel reagierten. Sie spiegelten somit den Wandel der
Versorgungsökonomie wieder".
Und das mit radikalen, also kämpferischen Mitteln, von der Hausbesetzung über
Anschläge auf "Konsumtempel". Der Ansatz, die "Lehr des
Konsums" in der kapitalistischen Gesellschaft als "Fortschritt im
Sinne der 'Herausbildung von Konsumgesellschaften" hat sich somit ihre
eigenen Gegner geschafft und war selbst, wie Sedlmaier überzeugend argumentiert
herausarbeitet (und das ist durchaus ein neuer Ansatz), "Träger von
Gewalt". Zum anderen, was das "Mitlesen am Rande" und viele der
grundlegenden Überlegungen des Werkes mit sich bringt, stehen vielfache
Erkenntnisse zu einer überaus kritischen Sicht auf die "Welt des
Konsums" und deren "zielgerichtete Setzung" durch Wirtschaft und
Politik im Raum, die dem Leser neue, ungewohnte Perspektiven eröffnen.
Alleine schon die Erinnerung daran, dass "Konsumkritik" über lange
Zeit hinweg bereits vorhanden war und keineswegs nur in "Randgruppen
alternativer Lebensstile" beheimatet war, sondern vielfache philosophische
und ökonomisch Kritische Geister schon früh Kritik an Werbung und
"Drängen zum Konsum", ja, an einer ganzen "Volkserziehung"
im Sinne der Lebensverwirklichung durch "Kaufen" übten bietet eine
ungewohnte, andere, gerade aktuell aber überaus nah zur Gegenwart orientierte
Sicht (auch wenn das Buch eher die Entwicklung bis zu den 80er Jahren hin
thematisiert).
"Seelenmanipulierer. Das schwerste Attentat, das jemals bewusst gegen das
abendländische Menschenbild gerichtet worden ist. Die geheimen Verführer"
und vieles mehr, so werden die Protagonisten der Werbung, die "Speerspitze
der Aufforderung zum Konsum" bereits Mitte der 50er Jahre genannt.
Dass durch den Wegfall eines (wenn auch noch so schwachen) "sozialistischen
Gegenmodells" einer doktrinären Lebensweise Tür und Tor weit geöffnet
wurden, die den Fokus von der "Produktion" weg rein auf den
"Konsum" lenkt und damit tiefe Veränderungen im sozialen Gefüge
einer Gesellschaft anstößt, das mag keine unbekannte Idee sein, dass aber
West-Berlin durch hohe Subventionen als "Schaufenster des Westens"
gegenüber dem "Osten" "eingerichtet wurde" und damit als
Mittel der Kriegsführung im kalten Krieg bewusst als "Waffe" diente,
das ist überaus interessant im Buch nachzuvollziehen. Bis hin zur
"Semantik der Gewalt", die Sedlmaier trocken konstatiert und die ahnen
lässt, dass die "Front der Konsumaufforderung" durchaus nicht nur
äußere, sondern auch innere "Kriegswelten" gesellschaftlich
entstehen lässt, vollzieht und provoziert. "An der Konsumfront".
"Wo sich der Lebenskampf des Massenmenschen" abspielt. Mit den
Begriffen der "Konsumgesellschaft" wie "Werbefeldzug",
"Werbeschlacht", "Werbegeschosse",
"Marken-Offensive", "Überraschungsangriff" und
"Werbe-Dauerfeuer".
Was nicht daran lag, dass eine gewisse martialische Sprachform der deutschen
Gesellschaft "immer noch" zu eigen war, sondern tatsächlich eine Form
von Krieg stattfand (und findet), wie Sedlmaier überzeugend darlegt. Mit der
vermeintlichen Gegenbewegung der sozialistischen Systeme, durchaus aber auch im
"Häuserkampf", "Hausbesetzungen", mit den "Roten
Zellen", der "Roten Zora", dem "Schanzenviertel",
Attacken auf Kaufhäuser, Kampagnen gegen Konzerne (wie Springer). Wobei gerade
der Fall Springer interessant ist, da hier, wohl kaum breit bekannt, die gleiche
Methode, die alternative Gruppen "gegen" Springer anwandten, von
"Springer" einige Jahre zuvor ebenfalls aktiv genutzt wurde.
Fazit
Alles in allem ein gefülltes, fast überfülltes Buch, dass den verschiedenen
Protestbewegungen der Zeit zwischen 1950 und 1980 intensiv nachgeht, die
Hintergründe beleuchtet, vielfache praktische Beispiele bietet und so die
politische Dimension der "Konsumstrategie" und des sich gegen dieses
Verwehren intensiv miteinander verknüpft.
Und damit erstmals dieser Verbindung von Konsum und Gewalt in dieser breiten
Form Raum gibt mit Ansätzen, Thesen und Beschreibungen, die sich ohne Weiteres
umgehend auf den globalen Raum anwenden lassen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 01. März 2018 2018-03-01 13:26:09