Ein herausragendes Verhalten
Das es auch im dritten Reich nicht wenige Menschen gab, die, oft unter Gefahr
für das eigene Wohl und Leben, vom Regime verfolgten halfen, dass ein Oskar
Schindler als "Gerechter" in Israel gilt, dass viele einfach Bürger
jüdische Mitbürger versteckten oder ihnen zur Flucht verhalfen, das dürfte
breit bekannt sein. Dass aber ein Moslem im dritten Reich eine Jüdin mitten in
Berlin beschützt und rettet, das ist zum einen weder sonderlich bekannt noch
sonderlich alltäglich.
Zum einen, weil Mohammed Helmy, Arzt in Berlin, aufgrund seiner Herkunft und
seines Glaubens schon auf sich selbst bezogen keinen besonders leichten Stand
zur damaligen Zeit in Deutschland hatte. Und zum anderen, weil bis auf den
heutigen Tag und aus der Geschichte heraus seit Urzeiten bekannt, Moslems und
Juden sich in breiten Teilen feindlich gegenüberstehen. Und dabei war Helmy
bereits aufgefallen und stand unter Beobachtung der Sicherheitskräfte des
Reiches.
Dennoch galt auch: "Das muslimische Berlin war ein Schmelztiegel gewesen.
Gut für Anna (die "zu versteckende" Jüdin". Es war eine Welt
der fließenden Übergänge entstanden", mit Tarnnamen und
Tarnidentitäten, infolge derer Anna zu "Nadja" wurde. Was gerade
dadurch begünstigt wurde, dass in den Jahren zuvor der Islam einen gewissen
Zulauf erhalten hatte. "Ein Drittel der Muslime Berlins waren
Konvertiten". Eine Menge Menschen, in der der ein oder die andere Einzelne,
wie im Buch prägnant und überaus spannend beschrieben, mit einem gewissen
Erfolg versuchen konnte, ein- und unterzutauchen.
Wobei, auch das sei erwähnt, damit im Buch dem Leser eben jene muslimische
Gemeinde der damaligen Zeit in Berlin in ihrem alltäglichen Leben ebenso
nähergebracht wird, wie auch deutlich wird, dass Helmy kein
"Alleintäter" war, sondern sich auf ein übersichtliches Netzwerk
stützen konnte mit seinem mitmenschlichen Versuch, Menschen vor Schaden im
Regime zu bewahren. Lebendig erzählt Steinke diese Geschichte und lässt den
Leser ein ums andere Mal die Spannung der gefährlichen Momente nachspüren.
Wenn die jüdische Mutter mitsamt gelbem Davidstern an der Tür eben jener Anna
klingelt, die als vermeintliche Muslimin "Nadja" nur durch "die
dünne Hülle dieser Tarnung" geschützt war.
Wenn man die Luft anhält, ob falsche Papiere ihre Wirkung nicht verfehlen. Und
ebenso gelingt es, Person und Werdegang dieses außerordentlichen Arztes und
Menschen in Berlin (der als bis her einziger Araber ebenfalls den Titel eines
"Gerechten" in Israel erhielt) im Buch nachzuvollziehen.
Fazit
Eine der Geschichten, die am Ende den Leser zufrieden das Buch sinken lassen
wird mit der klaren Erkenntnis, das echte Mitmenschlichkeit möglich ist, dass
dabei zu Zeiten immer viel, "das Ganze" riskiert wird und
zwischenmenschliche Grenzen religiöser oder nationaler Ausgestaltung ihre
Bedeutung verlieren, wenn es um die Entscheidung geht, anderen das Leben zu
retten.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 04. Dezember 2017 2017-12-04 10:41:43