Hochgradig informativ und eine fundierte Abbildung des Status Quo
Ohne die drakonischen "Maßnahmen" zu schildern, die dem Autoren die
Fantasie beflügeln bei der Vorstellung, dass er in Person als "Held"
Adolf Hitler festgenommen hätte (weil diese Fantasie nichts für schwache
Nerven sind), Im menschlichen Gehirn spielen sich, was Impulse der
Aggressivität anderen gegenüber und, die andere Seite der Medaille, ebenso was
Mitgefühl anderen gegenüber angeht überaus komplexe Prozesse ab. Die vielfach
in das eigene Selbstbild und Image sicher nicht nahtlos hineinpassen werden. Der
Neurobiologe Robert Sapolsky hat sich in diesem höchstlehrreichen und in jeder
Seite fundiert wirkenden Grundlagenwerkes den beiden wohl existenziellsten
menschlichen Gefühlen angenommen. Hass und Liebe, Wut und Sanftheit, Mord und
Bewahrung anderer Leben, all dies subsumiert sich unter die Begriffe
"Gewalt und Mitgefühl".
Mit überzeugenden Querverbindungen umgehend in den Körper hinein.
Beschleunigte Herzfrequenz, Hitzewallungen, geballte Fäuste, geöffnete
Pupillen, ein ganzes Arsenal an Hormonen wird umgehend freigesetzt, wenn im
Gehirn die entsprechenden Areal für diese beiden starken Gefühle aktiv werden.
Beides sind im Übrigen ebenso starke Indikatoren eines Denkens in einem
"Ich" und "die anderen". In ein "Wir" und
"die da". Warum ist das so? Wie und, vor allem, wo wirkt sich das aus?
Was sind die Quellen dieser "Grundgefühle", die das eigene Handeln
mehr bewegen, als alle anderen Impulse und welche Folgen haben diese
Tätigkeiten des Gehirns genau? Fragen, denen das Werk nachgeht und die es
ausführlich und rundherum überzeugend beantwortet.
"Unsere Spezies hat Probleme mit der Gewalt". In direkter und/oder
subtiler Form schwingt scheinbar immer eine "Drohung" innerlich mit,
wenn Menschen in egal welcher Konstellation (auch in Ehen oder in Bezug auf
eigene Kinder) aufeinandertreffen. "Wir laufen immer in Gefahr, dass
Menschen uns schaden". Und, das ist eine der gewichtigen Erkenntnisse der
Lektüre, nicht nur manchmal hat der Mensch damit überhaupt kein Problem.
"Wir empfinden keinen Hass auf Gewalt….Wir hassen und fürchten nur die
falsche Art von Gewalt". Das ist das eine. Und dazu tritt, dass der Mensch
eben auch zu gegenteiligem Verhalten fähig ist. Sogar aus einem anfänglichen
Impuls zur Gewalt (schreiende Kinder still bekommen) zur gegenteiligen Handlung
und Empfindung (schreiende Kinder liebevoll beruhigen) sich bewegen kann. Oder,
wie Sapolsky es formuliert: "Es ist kompliziert".
Einfache Antworten, im besten Falle hinführend zu einfachen
Handlungsanweisungen oder auswendig zu lernender Punkte für eine
"gesunde" oder "falsche" Gewalt, sollte der Leser daher
nicht von der Lektüre erwarten. Wohl aber eine gründliche, komplexe und
erhellende Darstellung dessen, was die Neurobiologie an Antworten zur
Grundverfasstheit des Menschen aktuell zu bieten hat.
Die wichtige Rolle der eigenen kulturellen Prägung (wie verschieden Menschen
z.B. auf räumliche Enge reagieren, je nachdem, in welchem Umfeld sie geprägt
wurden), der Evolution und der Biochemie des Körpers, die all dem entspricht
und entsprechend auf echte oder vermeintliche Gefahrensituationen (oder deren
Gegenteil) reagiert, ist im Buch faszinierend zu lesen und anhand vieler, auch
persönlicher Beispiele des Autors verständlich in der Vermittlung. Wobei im
Verlauf der Lektüre immer deutlicher wird, wie wichtig die Beachtung der
Relationen ist.
"Die Mehrdeutigkeit dieser Gewalt (die bis in die Alltagssprache
hineinreicht) – dass wir die Betätigung eines Abzugs sowohl als entsetzliche
Gewalt wie auch als aufopfernden Patriotismus verstehen können – macht sie so
problematisch".
Die Biologie on Gewalt, Aggression und Konkurrenz einerseits (sicherlich der
Schwerpunkt des Werkes) und die dazu gehörenden Gegensätze im Verhalten als
Kooperation, Zugehörigkeit, Versöhnung, Empathie und Altruismus näher zu
verstehen, man wird aktuell kaum ein anderes Werk finden, dass so
grundsätzliche Antworten liefert wie dieses. Ohne jede Vereinfachung,
wohlgemerkt, die Lage ist komplex und bleibt komplex. Aber gerade weil Sapolsky
"biologisch" bleibt und philosophisch-ethische Fragestellungen
nachrangig stellt, wird seine Darstellung so unnachahmlich faktisch (klar grenzt
sich der Autor gegen die Sozialwissenschaften ab). Wobei er nicht den Fehler
begeht, durch eine zu starke ideologische Brille zu schauen.
Fazit
"Am Ende des Buches werden sie erkennen, dass es sinnlos ist, zwischen
Aspekten zu unterscheiden, die "biologisch" sind und solchen, die man
als, sagen wir, "psychologisch" oder "kulturell" bezeichnen
würde. Alle diese Dinge sind unauflöslich miteinander verknüpft".
Wobei die biologischen Prozesse durchaus so etwas wie eine Grundlage für
"alles andere" darstellen, dass zumindest wird im Lauf der Lektüre
klar und deutlich. Wobei die Ausblicke, die Sapolsky gerade im zweiten Teil des
Werkes bietet, zumindest eine Vielzahl an Möglichkeiten benennen, die ständig
vor sich her getragene Tendenz zur "Abgrenzung" durch Erkenntnis und
Änderung im Verhalten in Teilen zu überwinden und damit auch andere Reize im
Gehirn verankern zu können (die Voraussetzungen dafür liefert die "adulte
Neurogenese").
Auf diesem Weg aber ist es unabdingbar notwendig, zunächst zu verstehen, warum
was so ist und wie das funktioniert mit der Aggression im Inneren. Eine
Notwendigkeit, die dieses Buch in bester und umfassender Form auf den gut 900
Seiten Text mit Inhalt füllt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 27. November 2017 2017-11-27 08:43:34