Der menschliche Kern des Dschihad
Ob die Beweggründe vor allem junger, islamischer "Fanatiker",
"Terroristen" und/oder "Gotteskrieger" auf eine gemeinsame
"Grundformel" zu bringen sind, dass darf auch nach der Lektüre dieses
(mit erfrischend anderem Zugang zum Thema versehen als viele andere
"Verstehens-Ansätze) Werkes bezweifelt werden. Was aber in der Natur der
Sache begründet liegt. Zigtausende von Menschen haben sich dem "radikalen
Dschihad" verschreiben, aus vielfach verschiedenen Prägungen und mit
durchaus auch verschiedenen Motiven. Dennoch aber, die Grundthese Roys fordert
zu Recht Beachtung und führt zu einer neuen Sichtweise auf das, was im Titel so
schlagwortartig formuliert wird.
Wer für sich selbst in die Verneinung sich bewegt, eine "gute
Zukunft", Möglichkeiten der konstruktiven Veränderungen für das eigene
Leben nicht sieht, nicht sehen will und negiert, der wird, wie in allen
Jahrhunderten und "Kriegsbewegungen" (bis hin zum Willen, ein ganzes
Land und Volk zu "zerstören", wenn es den "Kampf nicht siegreich
gestalten kann" wie im dritten Reich), sich dem Ideal des Opfers, des
Märtyrers, des "höheren Ziels" der "Vernichtung des (jedes)
Feindes" deutlich leichter und mit deutlich mehr Vehemenz verschreiben, als
Menschen, die bewegt werden durch Hoffnung auf ein Licht am Horizont. Zunächst
des eigenen, dadurch aber auch des gemeinschaftlichen Lebens (zumindest im
persönlichen Umfeld).
Dieser psychologische Befund, diese "moderne "Disposition mancher
Persönlichkeiten" führt zu einer neuen Qualität des Kampfes, der in
früheren Jahrhunderten und terroristischen Aktionen zwar vereinzelt ebenfalls
vorhanden gewesen sein mag, sich nun aber in der Moderne in radikaler Breite
zeigt. "Neu ist, dass Terrorismus und Dschihadismus sich mit dem
Todeswunsch des Attentäters verbinden". Dass eine Negierung des eigenen
Lebens, so schlimm diese in einen darauf zulaufenden Suizid bereits in sich sein
mag, nun mit einer plakativen Verachtung des Lebens anderer (durch krude
Argumente und Schlagworte als "Schuldige" gekennzeichnet),
verbindet.
"---und sie tun dies, ohne einen ernsthaften Fluchtversuch zu unternehmen
und dass ihr Tod für die Durchrührung der Taten (Roy meint hier terroristische
Anschläge nicht durch Selbstmordattentäter per se) zwingend nötig sei.
Was Roy durchaus zurecht die Möglichkeit eröffnet, auch einen Blick auf
politische Attentäter wie den engen Kern der Baader- Meinhof Gruppierung zu
werfen, die ebenfalls weder ihren Kampf noch das Opfer ihres eigenen Lebens ab
einem gewissen Zeitpunkt in Frage stellten. Was Roy zu der interessanten und
aktuell noch wenig beleuchteten These führt, dass nicht der Islam radikalisiert
und zu "Selbstmördern" jedweder Form "erzieht", sondern
dass eine gewisse Neigung zur Radikalität samt Negierung des Wertes des Lebens
anderer und gar des eigenen bereits psychologisch-pathologisch in zahlenmäßig
beachtenswerten Teilen der "Jugend der Welt" vorliegt. Diese Haltung,
Neigung, Disposition dann ist es, die sich einen "Überbau" schafft,
die Versatzstücke aus Ideologien und Religionen sich für das eigene
"Weltbild" fast noch "zurecht zimmern", im ihren radikalen
Bruch mit der Welt und sich selbst zu begründen. So mag es auch aus dieser
Haltung heraus so überaus schwierig sein, über anderes Aspekte des Islam mit
"Islamisten" zu diskutieren. Denn nicht das Gesamte und dann
differenziert Betrachtete zählt, sondern eher die Schlagworte, die der vorher
bereits verankerte emotionalen Haltung als Schlagworte Ausdruck verleihen.
Dabei verhehlt Roy keineswegs die mörderische Strategie des IS auch in Bezug
auf "Gehirnwäsche" und den ständigen Versuchen, maximale Angst in
der "saturierten Welt" zu erzeugen. Betrachtet man die Dinge aber
durch Roys Augen, dann wird es nicht reichen, den "äußern
Terroristen" zu bekämpfen. Selbst wenn es gelingt, den IS und andere
"religiöse Terrorgruppen" vollständig zu zerschlagen, änderst dass
nichts am Vorhandensein des dafür notwendigen "Nährbodens" in den,
vor allem, jungen Menschen weltweit. Ohne eine Lösung fertig
"anzubieten", legt Roy damit den Finger auf eine offene Wunde aller
modernen Gesellschaften. Das Versagen, den Menschen, vor allem den Jungen,
gegenüber, Ideale, Perspektiven und Instrumente an die Hand zu geben, das
eigene Leben mit einem tieferen Sinn zu füllen als nur mit der Teilnahme am
Konsum. Das nämlich stand für nicht wenige radikalisierte Islamisten zuvor
durchaus im Bereich der Möglichkeiten, hat aber eben nicht jene Antworten
geboten, die Lust am Leben und Respekt vor dem Leben an sich genügend tief
verankert hätte.
Fazit
Eine interessante Blickrichtung, die eines vertieften Nachdenkens und einer
breiten Diskussion wert ist. Auch wenn nicht jeder alles an Roys Analysen und
Folgerungen unterstreichen würde.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 22. September 2017 2017-09-22 13:40:06