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Jochen Missfeldt: Sturm und Stille

Sturm und Stille

von Jochen Missfeldt
Verlag: Rowohlt Verlag [mehr Bücher von diesem Verlag zeigen]
Sparte: Biografie
ISBN-13 978-3-498-04529-6

Preis: 22,00 Euro bei Amazon.de [Stand: 21. Dezember 2024]
Theodor Storm (1817-1888) pflegte vor und während seiner Ehe mit Constanze Esmarch eine Beziehung zu Dorothea/Doris Jensen (1828-1903), die er nach dem Tod seiner ersten Frau heiratete. Wie Doris bei ihrer Begegnung mit Storm ist auch dessen spätere Frau bei ihrer Verlobung erst 16 Jahre alt. Storm und Doris Jensen stammen beide aus Husumer Patrizier-Familien, Vater Jensen ist Holzhändler. Die Familien sind eng miteinander verknüpft, Storms und Constanzes Mütter sind Schwestern. Mit Storms Schwester Cäcilie ist Doris eng befreundet, Storms Bruder wird später Doris Schwester Friederike heiraten.

Jochen Missfeldt lässt mit Gustav Hasse einen fiktiven Storm-Biografen auftreten, der aus seinen Solsbüll-Romanen bekannt ist und u. a. die Verknüpfung der Romane herstellt. Der junge Hasse reist in dieser Romanbiografie aus gesundheitlichen Gründen als Besucher auf die Hallig Hooge, um sich an der See zu erholen. Im Herbst seines Lebens (der in der Gegenwart angesiedelt ist) blickt Hasse auf die Beziehung zwischen Storm und der anfangs erst 16-jährigen Chor-Sängerin zurück, deren Chor Storm leitet. Heute würde die Beziehung zu einer Abhängigen als rücksichtslos und äußerst fragwürdig gewertet werden.

Aus Briefen und weiteren Quellen entsteht ein faszinierendes Bild eines bürgerlichen Frauenlebens im 19. Jahrhundert. Vieles Lesen und Schreiben hielt man damals für Frauen noch für ungesund. Sie wurden zuhause und auf höheren Töchterschulen für die Ehe mit einem wohlhabenden Mann erzogen, der in der Lage sein würde, den erträumten bürgerlichen Haushalt zu finanzieren. Die Erziehung von Doris Schwester Friederike weist der Jüngeren bereits den Weg, der auch für sie vorgesehen ist. Unverheiratet "als Mamsell" übrigzubleiben, gehörte zu den schlimmsten Vorstellungen jener Zeit. Selbst eine Lehrerin konnte nicht heiraten, nachdem sie sich einmal für den Beruf entschieden hatte. Die ungewöhnlich harschen Urteile über unverheiratete Frauen sind aus heutiger Sicht schwer zu erklären und lassen an eine Mischung aus Neid und Existenzängsten denken.

Während Storm außer einem Umzug nach Potsdam weitgehend ungehindert seiner beruflichen Karriere folgt und später zum Landvogt in Husum ernannt wird, verbannt die Familie Doris. Um die unschickliche Beziehung zu unterbinden, wird Doris zunächst nach Segeberg geschickt zu Storms Schwiegereltern. Eine Reihe von "Verschickungen" schließen sich an, auf die Doris selbst keinen Einfluss hat. Obwohl sie in den fremden Haushalten ganztags arbeitet, muss für Doris in mindestens einem Fall sogar Kostgeld gezahlt werden. Als Folge ihrer unschicklichen Beziehung zu Storm liegen die Nachteile allein auf Doris Seite, sie wird verschoben wie ein lästiges Möbelstück. Konstante in ihrem Leben als nicht gerade erwünschtes Haushaltsmitglied bleibt neben ihrer Reisetruhe ein Wetterglas und später Doris Barometer, das sie zu allen Stationen ihres unsteten Lebens begleiten wird. Wetterphänomene (Nordlicht, Mondfinsternis, Sturmflut) spielen für Doris und ihren Biografen eine wichtige Rolle. Doris Wetterglas symbolisiert auch, dass für eine intelligente berufstätige Frau zu ihrer Zeit kein Platz vorgesehen war und wie sie jahrelang nirgends Fuss fassen konnte.
Fazit
Missfeldts Romanbiografie bietet außer dem Einblick in ein Frauenschicksal des 19. Jahrhunderts ein erstaunlich dichtes Bild vom Leben und Arbeiten nahe der dänischen Grenze. Er vermittelt das Bild einer Frau, die sich behauptet, obwohl diese Eigenschaft zu ihrer Zeit für Frauen nicht vorgesehen war. Als renommierter Storm-Biograf lehnt er sich dabei an den Briefwechsel zwischen Storm und Constanze an; denn über Doris Jensen ist wenig bekannt. Neben lesenswerten Verknüpfungen zur Entstehung von Storms Texten ragt "Sturm und Stille", wie bereits "Solsbüll" mit seiner für die Region und die Epoche authentischen Sprache heraus.
10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne10 Sterne
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Vorgeschlagen von Helga Buss [Profil]
veröffentlicht am 19. August 2017

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