Der Sturm im Sturm
Er ist ein großer Theatermacher. Und er hat ein noch größeres Leid zu tragen.
Eine gute Idee somit, das Leid zu bearbeiten und zu verarbeiten, indem er das
tut, was er am besten kann. Ein Stück zur Aufführung bringen.
"Die Ärzte taten, was sie konnte. Jede Plattitüde wurde
aufgefahren".
Doch das wird eine ungeahnte Pause von 12 Jahren bedürfen und dann auch an
einem Ort und mit "Schauspielern" langsam, aber sich Gestalt annehmen,
die sich Felix Philips so nicht vorher gedacht hätte. "Dieser
heimtückische, hinterhältige Scheißkerl". Und das ist er. Der vormalige
Vertraute und aktuelle Verräter und Karriererist. Wobei es ganz gut ist, dass
12 Jahre vergangen sind. Vielleicht kann er so eine Weile noch unerkannt bleiben
auf seinem Weg der "Rache" einerseits und der "inneren
Wiederbelebung" andererseits. Vielleicht wird "Der Sturm" von
Shakespeare ihm Gelingen, ganz vielleicht sogar echten Frieden bringen. Und
während man dem Unglück des "Felix" (lateinisch: "Der
Glückliche") folgt, miterlebt, wie er mitten im Schaffen
"ausgebootet" wird und umgehend ein "Refugium", eine
"Insel" findet, erinnert man sich, dass in Shakespeares "Der
Sturm" der Held Prosperos auch 12 Jahre auf einer Insel verbrachte. Und
ebenfalls zuvor von einem engen Vertrauten, im Sütck vom eigenen Blut, und, wie
im Buch nun auch, von je dessen "Gönner" zunächst gründlich aus dem
Spiel genommen wird.
Atwood gestaltet das Buch wie die Handlung wie das zur Aufführung kommende
Stück im Buch im Gesamten nach "Der Sturm". Verlegt die Handlung in
die "moderne Welt" und ist wunderbar in der Lage, sowohl die formalen
Aspekte (Orte, Personen und Ereignisse" völlig neu zu füllen und je zu
übertragen, wie sie sorgsam auch der inneren Dramatik des Stückes nachgehet,
hier das Leiden ihres Felix ein wenig steigert, dort die "Insel" ein
wenig glättet und so alle Protagonisten in bester Weise Schritt für Schritt
"antreten" lässt zur großem Aufführung und zum ebenfalls wunderbar
passend gestaltetem Finale. Mit all de Bildern eines realen Gefängnisses, eines
inneren Gefängnisses (Trauer), eines inneren Exils, mit den Mitteln der
Täuschung, der Illusion, der Doppelbödigkeit agieren alle Beteiligten. Atwood
in ganz klarer und mitreißender Sprache, Shakespeare im Aufbau seines Stückes
und an dessen Ende mit der Bitte um Applaus und damit Erlösung aus der
Unsicherheit und Felix mit seinem Weg zur neuen Reputation, vor allem aber zum
inneren Frieden in seiner Trauer. Die ihn in Kontakt zur "Geisterwelt"
bringt und erst am Rande des Wahns ihn in die Welt zurückführt. Geändert,
aber nicht geläutert, zunächst.
"Lavinia, Julia, Cordelia, Perdita, Marina. All die verlorenen Töchter.
Einige von ihnen wurden wiedergefunden, warum nicht auch Miranda"? Was
dennoch schwer erden wird, denn Töchter können ja auf verschiedene Weise
verschwinden. Und je nachdem den Vater vor fast unlösbare Aufgaben stellen. Was
wiederum den Leser interessiert, animiert, sich der Frage mit anzuschließen, ob
und wie das Felix im Buch wohl unter diesen konkreten Umständen gelingen kann.
Und so spielt es am Ende keine Rolle, ob Insel oder Gefängnis, ob Unwetter oder
Schneesturm, ob lebendig oder tot, ob Bruder oder Günstling, eng folgt Atwood
dem Faden des Stückes und jede Seite kündet von ihrer gelungenen Mission, den
Geist Shakespeares in die moderne Welt zu übertragen.
Fazit
Ein hervorragender Roman mit vielen Ebenen, ebenso vielen menschlichen
Erkenntnissen, sprachlich hervorragend umgesetzt und mit einigen eigenen
Schwerpunkten versehen.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 31. Juli 2017 2017-07-31 14:07:06