Cyril Hare (1900-1958) war Jurist und Schreiber bekannter Detektivgeschichte.
Sein Detektivroman "Tragedy at law" (Tragödie im Gerichtssaal)
gehört zu den 100 besten Romanen des Genres, wie Julian Symons 1970 zu recht
konstatierte. Der Diogenes-Verlag hat hier seine - meines Erachtens noch
besseren - Kurzgeschichten herausgebracht mit einer hervorragenden Einführung
des Hare-Spezialisten Michael Gilbert. Dieser schreibt völlig zu recht:
"Die Handlung der kurzen Detektivgeschichte ist notwendigerweise
kompliziert. Gerade darin...unterscheidet sie sich von Kurzgeschichten anderer
Art...Jede Geschichte muß eine strafbare Handlung mit allen erforderlichen
Einzelheiten schildern. Es braucht nicht immer ein Mord zu seih. Sie werden in
diesen Seiten Überfall und Raub, Einbruch und Diebstahl, Betrug und Erpressung,
Fälschung und Verrat finden. Und die verbrecherische Handlung darf nicht nur
beschrieben werden, sie muß gewissermaßen auch ausgearbeitet werden. Ein
Verbrechen darf nicht nur einfach erzählt werden und dann in der Luft
hängenbleiben. Man muß auch den Versuch unternehmen, mit dem Verbrecher
abzurechnen. Dieser Versuch wird nicht immer erfolgreich sein...Aber das Gesetz
mulß immer vorhanden sein. Es ist das "tertium quid" in jeder
Kriminalgeschichte. Es gibt noch einen Punkt...in dem sich die
Kriminalgeschichte von ihrer legitimeren Schwester unterscheidet: sie ist oft
wie eine Taschenspielerei aufgemacht. Der erzählende Teil ist nur ein Stück
Ablenkungsmanöver, das dazu bestimmt ist, Ihre Aufmerksamkeit auf die rechte
Hand des Taschenspielers zu lenken, während er in seiner hohlen Linken das
Pik-As verbirgt, mit dem er Sie auf der letzten Zeile auszustechen gedenkt.In
dieser Technik konnten es Cyril Hare...nur sehr wenige gleichtun. Die
sorgfältige Ausarbeitung seiner regulären Detektivromane...kam ihm
unzweifelhaft auch in diesem Zweige seiner Kunst sehr zustatten. Wenn Sie ein
Bepspiel für das suchen, was ich meine, lesen Sie die anspruchslose kleine
Geschichte "Die Rivalen". Aber mogeln dürfen Sie nicht. Decken sie
den letzten Absatz zu. Nun versuchen Sie sich zu entscheiden, welcher der beiden
betreffenden jungen Männer die Wahrheit gesprochen und welcher von ihnen
gelogen hat. Und nachdem Sie dann den letzten Abschnitt gelesen haben, blättern
Sie zurück und beachten Sie, wie die Spur gelegt wurde."
Genau diese Äußerungen des Herausgebers Michael Gilbert zeigen deutlich die
Vorzüge dieser Geschichten auf: ein spezieller britischer Humor (besonders
sichtbar in der ersten Geschichte "Wo ein Wille ist", bei der es um
den letzten Willen einer verstorbenen älteren Dame geht, wofür sich
insbesondere ihr missratener Neffe interessiert...), zahlreiche unvorhergesehene
Wendungen und - wie bei Tragedy in law auch messerscharfe Logik (ohne Kenntnisse
des englischen Rechts sind viele der Lösungen nicht verständlich) kennzeichnen
Cyril Hares Werke und die vorliegenden Kurzgeschichten, die der Autor - der
Übersichtlichkeit halber - in drei Kategorien hat: Erzählungen mit
juristischem Hintergrund unter "Recht und Gesetz", Geschichten, die
von Mord handeln und Geschichten, die andere Verbrechen zum Inhalt haben.
Fazit
Cyril Hare, wie sein berühmter Kollege Anthony Berkeley Mitglied des
legendären britischen "Detection Clubs" (eine seiner hier
versammelten Geschichten: "Mörderglück" ist eine meisterhafte
eigenständige Adaption von Anthony Berkeleys Kurzgeschichte: "Der
rächende Zufall", die Grundlage von seinem späteren Meisterwerk:
"Der Fall mit den Pralinen") sah nicht nur so aus wie Sherlock Holmes,
er war auch einer der besten Autoren von Detektivromanen und -geschichten, wie
der vorliegende Band beweist.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 29. März 2004 2004-03-29 21:29:06