"Fotos, die lügen" ist eines der besten Sachbücher, welches ich
kenne. Es befasst sich mit der Manipulation von Fotos bedeutender
Persönlichkeiten in Diktaturen. Durch "Politik mit gefälschten
Bildern" wurden unbequeme Pesönlichkeiten, die in der Diktatur in Ungnade
gefallen waren, einfach wegretouchiert. Nicht umsonst hat der Verfasser ein
Zitat aus Orwells berühmten "1984" als Einleitung zu seinem Band
gewählt: "Und irgendwo saß, ganz anonym, der Gehirntrust, der das alles
koordinierte und die politischen Grundlinien festlegte, die es erforderlich
machten, daß dieses Bruchstück der Vergangenheit aufbewahrt, jenes gefälscht
und wieder ein anderres ausgelöscht wurde."
In einer Einleitung wird zunächst ausführlich auf die Technik des
Retuschierens eingegangen und die Mittel der "Abhebung", des
"Ausschnitts", der "Retusche" eingegangen, bevor die Praxis
dieser Techniken in den Diktaturen erläutert wurde. Beispiele der Retouchierung
sind etwa Trotzki, Kamenew, Sinowjew und andere politische Gegner Stalins, in
China die sogenannte "Viererbande" oder Lin Piao, ein früherer
Mao-Gegner. Doch auch Mussolini und Hitler erwiesen sich als "Herren der
Bilder". Nach dem Kriege waren es insbesondere die tschechischen
Kommunisten, die unbequeme Persönlichkeiten, etwa Clementis oder Dubcek,
einfach "wegretouchierten". Meisterhaft etwa auch die Tatsache, dass
das weltberühmte "Portrait" des kubanischen Revolutionärs Che
Guevara, das "Symbol" der Studentenrevolte von 1968, eine Fälschung
war.
Dieser Band zeigt beeindruckend Fotos in Original und Fälschung. Mir selber
lief es zeitweise kalt den Rücken herunter, als ich sah, wie Geschichte
"gemacht" wird. George Orwells 1984 war eben bereits zum Zeitpunkt
seiner Entstehung, 1948, Wirklichkeit, wie dieser fulminante Band beweist. Wie
heißt es in der Einleitung: "Ja, Orwell hatte recht. Aber nicht ganz. Er
hatte den Irrsinn, den Fetischismus und den letzten Endes beruhigenden Irrsinn
des Systems vergessen. Verborgene Öfen, die die täglichen ausgaben der Times
verbrennen? Mag sein, doch wer glaubt, was in der Prawda steht, und an das, was
man ihm in den Museen zeigt...? Die vagte Andeutung eines demokratischen
frühlings in der Tschechoslowakei genügte, daß alsband die getürkten Fotos
der tschechischen Geschichte mit ihren Originalfassungen auftauchten. Also hatte
sie jemand aufbewahrt! Also hatte man nicht gewagt, sie zu vernichten! Das
Erschrecken vor der fotografischen Gewißheit hatte die Schreckensherrschaft
über die Leiber besiegt."
Fazit
Die Tatsache, dass die Fotografien der "Gehängten, Vergaßten und
Erschossenen", der "Erniedrigten und Beleidigten" (Dostojewski),
der stummen Märtyrer und Helden der totalitären Diktaturen hier
veröffentlicht worden sind, zeigt, dass die Erinnerung an die Wahrheit eben
doch nicht "totzukriegen" ist - und dies ist für mich ein Stück
Hoffnung, dass sich eine bessere Welt letztlich durchsetzen kann. Dass dieser
Band zur - gewaltsam totgeschwiegenen - Wahrheitsfindung beiträgt (jedes Foto
enthält eine sehr bewegende "Geschichte") ist sein unbestreitbares
Verdienst.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
[Profil]
veröffentlicht am 27. März 2004 2004-03-27 15:00:55