Januar 1982: Um die Nachfolge des seit 17 Jahren amtierenden Staats- und
Parteichefs Leonid Breschnjew bricht im Kreml ein offener Machtkampf aus. Jurij
Andropow, der im November 1982 tatsächlich zum neuen Kremlchef gewählt wurde,
greift nach der Macht. Am 21. Januar 1982 meldeten die sowjetischen Zeitungen
den plötzlichen Tod des stellvertretenden KGB-Chefs Semjun Zwigun. Seine
Todesanzeige wurde nicht von seinem Schwager Breschnjew, sondern von Andropow
und seinen engsten Verbündeten, unter anderem Michail Gorbatschow
unterzeichnet. Nur 4 Tage später stirbt der zweite Mann des Kreml,
Parteichefideologe Michail Suslow.
Was sind die Hintergründe dieser Ereignisse? War Zwigun, wie die Iswestija
schrieb, nach "langer Krankheit" gestorben oder hatte er - wie die
Gerüchte besagten - Selbstmord begangen? Dies soll Detektiv-Chefinspektor Igor
Schamrajew, ein Spezialist für Sonderfälle klären. Er wird von Breschnjew
persönlich mit der Unterscuhungt des Falles beauftragt.
"Roter Platz" besticht durch seine intimen politischen Kenntnisse der
russischen Gesellschaft und seiner Führungsspitze.
Die dort geschilderten Ereignisse hat es tatsächlich gegeben, d.h. der oben
geschilderte Machtkampf ist authentisch und bei Voslensky in seinem Werk
"Sterbliche Götter", Dusko Doder "Machtkampf im Kreml" und
anderen Werken ausführlich beschrieben worden. Der Tod Zwigungs und Suslows
leitete in der Tat den Machtwechsel zu Andropow ein, der Suslows Nachfolger als
Zweiter ZK-Sekretär, d.h. wichtigster Mann des sowjetischen Parteiapparates
nach Breschnjew wurde. Schließlich setzte sich Andropow nach Breschnjews Tod am
10. November 1982 gegen dessen Favoriten, ZK-Sekretär Tschernjenko, durch.
Dieser sollte dann nach Andropows Tod im Februar 1984 für 13 Monate an der
Kreml-Spitze stehen, bevor mit Gorbatschow endlich die jüngere Generation ans
Ruder kam.
Andropow ist auch direktes Vorbild des derzeitigen Präsidenten Wladimir Putin.
Auch unter diesem Aspekt dürfte es interessant sein, den vorliegenden Krimi,
einen der besten Politthriller den ich kenne, zu lesen. Für Fans des
sowjetischen Kriminalromans ein unbedingtes Muß. Die einzelnen Politiker werden
so plastisch beschrieben, dass der Autor die Fiktion seiner Geschichte extra
bestätigen mußte: "Alle in diesem Buch beschriebenen Personen,
einschließlich Leonid Breschnjew, Michail Suslow, Jurij Andropow, Semjon
Zwigun...sind pure Erfindung der Autoren."
Nichtsdesto trotz verfügten die beiden Autoren, die in der Sowjetunion
aufgewachsen sind, dort studierten und sich mit Tabuthemen wie
Jugendkriminalität befassten, über intime Kenntnisse des Landes. Beide
entwickelten sich zu Dissidenten und emigrierten 1978 in die USA.
Fazit
Wenn man heute Kerstin Holms: "Die korrupte Gesellschaft" liest, in
der das Phänomen von Bestechung und Korruption in der gegenwärtigen russischen
Gesellschaft ausführlich beschrieben wird, und dieses Werk mit dem vorliegenden
Krimi vergleicht, sieht, dass das Phänomen der Korruption in diesem Lande nicht
neu ist. Insofern handelt es sich bei diesem Werk nur vordergründig um einen
Kriminalroman oder einen spannenden Politthriller mit lebensecht gezeichneten,
ja "farbigen" Figuren, die tatsächlich existiert haben bzw. existiert
haben könnten. Es handelt sich hierbei auch um eine Auseinandersetzung mit dem
politischen System der ehemaligen UdSSR, welche sich zwar 1991 auflöste, ohne
ihre historische Erbschaft, und hierbei sind insbesondere das Phänomen von
Korruption und Autoritarismus zu nennen, überwunden zu haben, wie das oben
zitierte Werk von Kerstin Holm zeigt. Die Lektüre beider Werke zeigt: es ist
noch ein weiter Weg zurückzulegen, bis sich eine freie Zivilgesellschaft in
Rußland entwickeln kann.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 27. März 2004 2004-03-27 14:58:20