Eher flüssig verfasste Fall-Dokumentation denn "nur" Roman
Der vorangestellte Hinweis, ein Zitat des durch Freitod gestorbenen
Fußball-Profis Robert Enke, gibt das Thema dieses "Roman-Falls" oder
eher "Fall-Romans" der Psychotherapeutin Simone Hausladen vor. Ruhig,
sachlich und umfassend erzählt sie darin die Geschichte Henry's. Der an genau
dem Tag, an dem er im Buch erwacht, schon seit Längerem beschlossen hatte, aus
dem Leben zu scheiden. Alles ist vorbereitet, alle Papiere akribisch geordnet,
die Klienten, die er als Teil einer Kanzlei betreut bestens vorbereitet, sein
Nachlass notariell geordnet, die Tabletten sind gesammelt, der Alkohol steht
bereit.
"'Nein, ich habe nicht besonders gut geschlafen. Wieso fragst Du mich das
eigentlich jeden Tag? Es ist doch immer das Gleiche', antwortete er nach zu
langer Pause und gereizt."
Was Elisa, seine Frau, kaum mehr wirklich wundert, sie kennt es schon lange
nicht anders. Dass aber ihr Henry seit Monaten, wenn nicht noch länger, in eine
tiefe Depression rutscht. Wenn sein Kollege und Freund bei Elisa anfragen
lässt, ob nicht ein Urlaub für Henry mal gut wäre. Und wenn dann noch an
seinem letzten Tag jede Menge schiefgeht, er all seiner Habseligkeiten beraubt
mehr und mehr in Zeitnot gerät und auch der Besuch bei seiner, als Kind
verunglückten Schwester (und er fühlt sich sehr schuldig an diesem Umfall) im
Pflegeheim weder Erleichterung noch Bestärkung seines Beschlusses bringt, dann
geraten die Dinge doch noch einmal neu in Wallung.
Dinge, so erfährt der Leser im Verlauf der Lektüre, die ihre Gründe haben.
Eine Disposition, die Henry seit Langem bereits begleitet und tiefer und tiefer
herunterzieht. Ein Therapeut vielleicht? Ach geh! Henry war ja bei einem. Und
wusste gleich, dass so etwas völlig sinnlos ist. Eine Aussprache mit Frau und
Freunden? Henry redet nicht gerne, schon gar nicht über sich. Die Sorgen der
anderen? Dringen seit Langem nicht mehr durch, wie auch das Verhältnis zu
seinem Sohn, ausgezogen, auf eigenen Beinen stehend, nicht das Best eist. Und
doch auch aus dieser Richtung noch etwas neu in den Raum treten lässt, was
Henry an diesem gedacht letzten Tag ein um das andere Mal zum Denken und Handeln
zwingt.
Was aber steht am Ende des Tages? Das ist die interessante Frage, die der Leser
sich bei der Lektüre stellt. Eine Lektüre, die im Stil eher als sachlich, im
Tonfall weithin ruhig beschreibend vonstattengeht. Zwar weiß der Leser
natürlich, dass Henry und die Seinen starke Gefühle verspüren, dass eine
bodenlose Leere sich bedrohlich aufgebaut hat, auch in den vielen, vielen
Nächten ohne Schlaf. Aber sprachlich vermittelt wird diese drängende Lage
kaum. So entsteht mehr und mehr der Eindruck, diesem Henry wie durch ein
Schaufenster zwar interessiert, aber nicht unbedingt berührt bei seinen
Vorbereitungen zuzuschauen. Was den Gesamteindruck unterstützt, dass hier fast
eher eine sprachlich verbreiterte und flüssig erzählte Fall-Dokumentation
vorliegt und weniger ein Roman mit emotionalen Höhen und Tiefen auch beim
Leser.
Fazit
Wie eine solche Depression nun aber sich entwickelt, welche Symptome zu erkennen
wären und wie ausweglos das im Betroffenen selber sich darstellt, dass
vermittelt Hauslader akribisch und detailliert nachvollziehbar.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 07. Juni 2017 2017-06-07 10:56:13