"Dienendes Führen" in unruhigen Zeiten
Zunächst könnte man als Leser die Grundprämisse des Buches kritisch anfragen.
Die Beobachtung der Autoren, dass "die Deutschen noch nicht" bereit
sind, mental, eine Führungsrolle in Europa und der Welt zu übernehmen,
aufgrund der eigenen Geschichte, die eine "Kultur der Zurückhaltung"
zur bestimmenden Maxime gesetzt hat, stimmt augenscheinlich schon spätestens
seit den wirtschaftlichen Verwerfungen des Jahres 2008 nicht mehr.
Ob Finanzminister oder Bundeskanzlerin (und neben diesen öffentlich sichtbaren
Figuren auch eine Menge mehr an Verantwortungsträgern), in der Sprache
konziliant, in der Art, gerade was die Kanzlerin angeht, immer noch
zurückhaltend (was man leicht unterschätzen kann, wovon wiederum viele, nicht
nur innerdeutsche "Konkurrenten" inzwischen ganze Liedbände singen
können), in der Sache aber stringent, klar, fordernd und den anderen
europäischen Nachbarn durchaus auch einiges zumutend, hier übernimmt die
deutsche Politik bereits eine erkennbare Führungsrolle.
Was auch für vielfache militärische Einsätze soweit zutrifft, dass nicht mehr
unbedingt Zurückhaltung um jeden Preis die Maximen der Politik bestimmt. Wie
ebenso in den Begrüßungsreden an Donald Trump nicht nur die Kanzlerin, sondern
ein vielfacher Chor von Ministern und Politikern "klare Kante" gezeigt
haben, ohne aus der Rolle zu fallen. Dennoch, auch wenn die Realität vielleicht
einen Schritt schon weiter ist und die Autoren Ihre Formulierungen u.U. mit dem
Motiv wählten, die Pole deutlicher herauszustellen, in den Schlüssen, die aus
der Analyse gezogen werden, ist das Buch differenziert, fundiert und überaus
lesenswert. Denn in Zeiten wie diesen ist eines auf jeden Fall klar,
Zurückhaltung und eher passives hier und da mal einen Rahmen setzten entspricht
weder den Problemen der Zeit (die ja gerade dadurch gekennzeichnet ist, dass
sich vielfach feste Rahmungen aufzulösen drohen) noch dem Bedürfnis der
Bürger weit über Deutschland hinaus.
Digitalisierung in ihrer ungeheuren Bedeutung für den Arbeitsmarkt. Das
Aufkommen nationaler Ressentiments samt dem Wunsch, die Globalisierung gern
rückgängig machen zu wollen. Kulturelle Reibungen durch ein immer näher
rücken verschiedener Lebenswelten durch politische und wirtschaftliche
Interessen und, vor allem, durch eine Informationsflut sondergleichen. Der
Aufstieg digitaler Konzerne zu eigentlichen "Weltmächten", die
Kurzsichtigkeit von Mächtigen an nicht wenigen Orten, begleitet von wieder
anderen, die sehr geschickt eine destruktive Strategie mit weitreichenden Folgen
verfolgen können.
Offener Krieg, drohender Krieg, Handelskrieg, wirtschaftliche Verwerfungen, die
Lage ist und wird eher noch stärker instabil. Hier greift das Buch die
Hauptlinien auf und setzt immer wieder den Fokus auf die "deutsche
Rolle". Vorausgesetzt, das wird ebenfalls klar benannt, diese dient der
Erhaltung der "Welt wie wir sie kennen". "Deutschlands
außenpolitische Agenda muss auf den Erhalt der liberalen Weltordnung gerichtet
sein, der es seinen Wohlstand und seinen Frieden verdankt". Eine nicht
einfache Aufgabe, auch das wird bei der Lektüre klar, aber eine Aufgabe, die
angenommen werden will und das federführend, nicht von der Seitenlinie aus.
Fazit
Hierzu legen die Autoren starke Argumente vor, die einer Diskussion überaus
wert sind, um ein "dienender Führer" in der Welt zu sein (keine
"Weltmacht" Oder "Vormacht", diese Unterscheidung ist
wichtig) und noch deutlicher zu werden. Gesetzt den Fall, und das ist die
Voraussetzung von allem, könnte man die Autoren verstehen, die vorhanden
Kräfte werden gebündelt um gezielt und mit Gestaltungswillen eine
"Ordnungsvorstellung" klar zu benennen und auch auf den Weg zu
bringen. Eine sehr interessante Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 24. Mai 2017 2017-05-24 14:37:54