Heilung alter Wunden
Nun, ganz so treffend ist der Titel der deutschen Übersetzung des Romans von
Garth Stein nicht gelungen. Denn es ist nicht ein Augenblick, den der Roman in
den Mittelpunkt setzt. Wobei es natürlich immer "Augenblicke" sind,
in denen sich entscheidende Weichen stellen. Wenn dies rauchförmige Gestalt im
"Geheimen Zimmer" vor Trevor erscheint, der, Schritt für Schritt,
durch Tagebücher und "traumhaft" zugestellte Briefe den dunklen Fleck
seiner Familiengeschichte entdeckt. Was lange dauert. Wenn der Vorfahr sich als
reicher Mann zurücklehnen kann, aber die drängende Einsamkeit von allen Seiten
drückt. Wenn Falmmen an zu züngeln fangen. Wenn Trevors Vater eine Frau zu
retten gedenkt. Wenn Trevors Mutter ihren Kopf an die Schulter ihres Mannes
lehnt. Was eigentlich physikalisch in diesem Augenblick unmöglich ist. Wenn
"Riddel", der Familiensitz der ehemaligen Holzfirma sich
"anhört", als würde das Haus sich "in den Boden hinein
arbeiten".
Aber all diese Augenblicke ergeben eine über Jahrzehnte fortlaufende Geschichte
von Erfolg und Misserfolg, von Versprechen, die lange nicht eingelöst werden
und von Verstorbenen, die durchaus aktiv das Leben der Lebenden noch begleiten.
Weil noch etwas offensteht. Das ganze erzählt Stein im ruhigen, teils zu
ruhigen Tonfall mit Rückblenden, eingeschobenen Tagebucheinträgen, Briefen,
mit, vor allem, Selbstfindungen nicht weniger Personen auf ihrem Weg in und um
das Landhaus herum, das seiner eigentlichen Bestimmung seit Langem bereits
wartet und doch noch nicht "erlöst" worden ist.
"Warst Du nicht traurig"?
"Ich war sehr traurig".
Was Trevor erst später erfassen wird, denn zunächst ist er gerade der Kindheit
entwachsender Jugendlicher, der zu verkraften hat, dass seine Mutter und sein
Vater nicht gemeinsam mit ihm den Familiensitz besuchen und dass sein Vater mehr
und mehr "merkwürdige" Verhaltensweisen an den Tag legt. Nachts im
Saal des Hauses steht und zu warten scheint, mit einer Machete einen
hartnäckigen Brombeerstrauch zerhackt weil unter diesem eine wichtige
Erinnerung seiner Kindheit verborgen liegt. Wie zudem Ben, ein Vorfahr Trevors,
sichtbar unruhig noch das Haus "bevölkert", bis er auf der Spitze
eines Baumes Frieden finden wird.
Beziehungen untereinander, die über Jahrzehnte einander bedingen und
miteinander verbunden sind, die ein Gefühl der Unruhe zunächst in Trevor
hervorrufen, dass immer greifbarer wird, je mehr er in die Geschichte seiner
Familie eindringt. Ein Roman, der über die konkrete Geschichte hinaus die
Wichtigkeit für den Leser betont, "sein Haus in Ordnung" zu bringen
und das "Versprechen" bindend sind. Ob man sie erfüllt oder nicht, ob
sie Lebenden oder Toten gelten. Ein Buch auch mit Längen, mit nicht hohem Tempo
und teils zu sehr auf das "poetische Gefühlserleben" abgestellt, aber
sprachlich gelungen, weitestgehend schön zu lesen und den Leser sehr nahe an
die Figuren heranbringend.
Fazit
"Ich fragte mich, was mich so anrührte. Es war wie eine Inspiration".
"'Es ist morsch', sagte mein Vater". Und beides stimmt.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 28. März 2017 2017-03-28 13:26:00