Kaum zu glauben, dass Betty mit über 80 Jahren einen Mann über ein
Dating-Portal kennengelernt hat. Roy zieht in verdächtiger Hast bei ihr ein und
nimmt sofort das Heft in die Hand. Moralische Grundsätze im Hause Mcleish
werden von nun an von Roy bestimmt. Beide Partner sind über 80, beide wissen,
dass es mit ihnen beständig bergab geht und dies sicher ihre letzte Chance sein
wird, ihre letzten Jahre nicht allein zu verbringen. Gleich zu Beginn leuchten
die ersten Warnlampen auf. Roy hat keinen eigenen Haushalt, kein Festnetztelefon
und seine Geschichten über einen Sohn in Australien wirken mehr als windig. Wie
genau war Roy eigentlich im Internet, um sich beim Datingportal zu registrieren?
Als Roy sich von Bettys auch schon betagtem Enkel zu kritisch beobachtet fühlt,
reagiert er unwirsch. Für neutrale Beobachter entsteht zügig das Bild eines
Blenders, eines Heiratsschwindlers wie aus dem Lehrbuch. Roy taktiert
zweifellos, gibt sich klappriger als er ist, um Bettys Aufmerksamkeit auf seine
Betreuung abzulenken.
Rückblicke entlarven Roy als Berufsverbrecher, der bisher jeden betrogen hat.
Der englische Titel "The good Liar" trifft die Sache besser als der
deutsche. Doch offenbar hat Roy einen entscheidenden Fehler begangen. Zu stark
von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt, hat er sich nicht die Mühe
gemacht, etwas über Betty herauszufinden. Betty lässt sich derweil nicht in
die Karten sehen und guckt freundlich. Seinen Gegner zu unterschätzen ist
immer leichtsinnig - alte Frauen und deren bescheiden verschwiegene Kompetenzen
sollte ein Mann mit Roys Vorgeschichte auf keinen Fall unterschätzen. Wenn man
zurückrechnet, welch aufregende Zeiten Roy und Betty als Jugendliche noch
erlebt haben, ergeben sich höchst interessante Zusammenhänge, über die nicht
zu viel verraten werden soll.
Fazit
Nicholas Searle ist in der Terminologie der Epoche nicht allzu sattelfest, in
die er sich literarisch vorwagt, und formuliert so unzulässige Verharmlosungen.
Insgesamt legt er einen psychologisch fesselnden, bis kurz vor dem schleppenden
Ende sehr spannenden Krimi vor, den er mit einer leichten Prise Schadenfreude
garniert.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 24. März 2017 2017-03-24 10:26:07