"Sein" vor "Tun"
Nicht an Symptomen arbeitet Ulrich Clement sich in diesem Werk ab und nicht die
"schnellen Antworten" für tiefliegende Problematiken des sexuellen
Empfindens (sich selbst gegenüber oder in der konkreten Paarbeziehung) werden
in diesem Buch thematisiert. Getreu des systematischen Ansatzes stellt Clement
als praktizierender Sexualtherapeut in seiner Betrachtung dieses komplexen
Themas eben diesen "Komplex" in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.
Seien es die Ambivalenzen des sexuellen Begehrens, sei es das "Geben und
Nehmen" bei sexuellen Beziehungsangebot, sei es die Frage der
"Hingabe" und vieles mehr, immer wird in der ruhigen, sprachlich gut
verständlichen Darstellungsform deutlich, dass es Clement um die
Gesamtzusammenhänge geht, dass alle "Stellschrauben" des Systems, von
der offenen Bejahung bis zum klaren "Nein", vom sexuellen Erleben wie
in einem "Flow" bis zu stark gestörten und widersprüchlichen
Empfindungen in den Blick genommen werden.
Dabei wird deutlich, dass Clement selbst (und diese Haltung legt er auch für
den Leser und aktiv im Feld Arbeitenden) sich für jedes konkrete Detail im
"System" interessiert. Das alles "Sein darf", vor allem jede
Person zunächst "Sein darf". Aus dieser inneren Freiheit heraus folgt
dann erst das individuelle "Tun". Eine schon beim Lesen beruhigende
und befreiende Haltung, denn gerade sexuelle Problematiken sind oft mit Druck,
mit dem Gefühl, "nicht richtig zu funktionieren" verbunden und
geraten ebenso leicht in die Sackgasse einer sich ständig steigernden
Frustration im Wechselspiel von "immer mehr Aktion" und "immer
weniger Entlastung und innere Beruhigung". So wird auch von Beginn an
innerlich gefüllt, wie Clement "Störungen der sexuellen Lust" von
allen Seiten her als "dynamischen Prozess versteht"- Prozesse, die
hinein in konkrete Störungen geführt haben, Prozesse die im Rahmen des
aktuellen Begehrens ablaufen und Prozesse, die aus Engpässen und Sackgassen
Schritt für Schritt herausführen können.
Bis hin zum Ziel seines therapeutischen Handelns, die "Bewegung im
Prozess", die Clement als "schließende Bewegung von der
Mehrdeutigkeit zur Eindeutigkeit" benennt und damit einen Prozess geklärt
beenden. "Begehren meint also mehr als Lust", auch das ist wichtig,
von Beginn an klarzustellen, dass die Bilder im Kopf der jeweiligen Leser, die
intuitiven Verständnisse des Begriffs "Begehren" kanalisiert werden,
um den dynamischen Prozess verstehen zu können, den Clement Schritt für
Schritt, von allen thematischen Seiten her beleuchtet und immer mit spürbarer
Bindung an die therapeutische Praxis hin erläutert.
"Wie jemand begehrt, sein Begehren kommuniziert, gestaltet und bewertet,
geht nicht in der simplen Formel "Sex macht Spaß" auf, sondern ist
zentraler Ausdruck eines Menschen, des komplexen Systems innerer Vorgänge und
äußerer Lebensgestaltung, dem sich Clement im Gesamten zuwendet. Für die
Praxis heißt das: "Lebendigkeit heißt Bewegung, Und Bewegung vollzieht
sich in Gegensätzen". Dies bedeutet konkret in der therapeutischen Arbeit,
"ein Verständnis von Bewegung von Übergängen zwischen Spannung und
Entspannung, Erregung und Hemmung, Nähe und Abstand, Faszination und
Schrecken" und einiges mehr. Eine solide und gut verständliche
Grundhaltung, auf der Clement im Verlauf des Werkes vielfache
"Aggregatzustände" in ihrer gegenseitigen Dynamik beleuchtet, vom Tun
zum Sein und zurück, im Blick auf die je individuellen sexuellen Ressourcen,
beim "Nein" zum Sex wie beim "Nehmen und genommen werden".
Fazit
Eine höchst aufschlussreiche Lektüre in tatsächlich sehr verständlicher,
klarer Sprache, konkret und nicht abstrakt und beim Lesen bereits im Kopf des
Lesers Zusammenhänge zusammenfügend und spürbare "Lebendigkeit" ins
Gefühl vermittelnd.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 25. November 2016 2016-11-25 15:40:55