Die "Übernahme der Welt"
Es ist das Grundthema Yvonne Hofstetters. Das Fortschreiten der Digitalisierung
der Welt und die "Übernahme" demnächst vielleicht auch zentraler
Schnittstellen der politischen Entscheidungen durch die exponentiell wachsende
künstliche Intelligenz. Noch nicht einmal "demnächst" ist da der
passende Begriff, denn wie man am Börsenhandel bereits sieht, wie in weiten
Teilen der Industrie bereits fortgeschritten und unter dem Stichwort
"Industrie 4.0" noch klarer am Horizont übernehmen mehr und mehr
Algorithmen auch entscheidende Funktionsstellen, kaufen und verkaufen in
Sekundenbruchteilen Milliardenschwere Vermögenswerte.
Und das Ganze verlegt Hofstetter nun auf die politische Ebene. Einerseits als
"Geschichte in der Geschichte", in der sie im Buch plastisch
"AI" nachgeht. Eine künstliche Intelligenz, die aufgrund ihrer
Berechnungen die europäische Demokratie bestmöglich "nach vorne"
denken soll und damit auch Entscheidungen zu fällen hat. Ein kleiner Roman,
eingewoben in das Sachbuch, der sich auf realistische Grundlagen stützt und nur
das plastisch und konkret dem Leser vor Augen führt, was eigentlich technisch
bereits durchaus auch in Bezug auf politische Digitalisierung möglich wäre.
Dies aber ist im Gesamten des Buches betrachtet nur ein Puzzlestein, ein Thema
unterhalb des Grundthemas des Werkes. Denn im eigentlich geht es Hofstetter
darum, dass "Wenn der Computer Geld verdient" klassische,
demokratische Regulations- und Kontrollmechanismen außer Kraft gesetzt werden.
Gerade was die gedankliche "Freiheit" des Handels mit Nutzer-Daten in
einem radikal liberalen Wirtschaftsverständnis angeht.
Einerseits also spielt "der Kunde (User)" das Spiel bis zur Grenze mit
(wie die langen Schlangen vor Apple Stores zeigen, wenn ein neues Gerät auf den
Markt kommt), andererseits unterminieren Internetgiganten und die digitale
Industrie als Ganzes die Bereiche der persönlichen Freiheiten und des Schutzes
der Privatsphäre in solch hohem Maße, dass tatsächlich die demokratischen
Institutionen in Gefahr geraten, nur mehr "berechenbare Vorgänge" im
Dienst der Industrie. "Letztlich geht es um den Schutz des Verbrauchers vor
der Macht spärlich regulierter Märkte" Märkte, die nur mehr eine
"Illusion der Freiheit" vorgaukeln, Die "Freiheit des
Konsumenten" aber ist eine ganz andere Form als die "Freiheit des
mündigen Bürgers". Wenn nun aber der alte Satz noch stimmt das
"Wissen Macht ist", dann ist es höchste Zeit, die Macht der
demokratischen Institutionen zu stärken und das "erworbene Wissen"
von Generationen über das "generierte Wissen" der digitalen Welt zu
stellen. Sich zu wehren, um es mit einem Satz zu sagen.
Das nötige Grundwissen vermittelt Hofstetter sehr verständlich. Denn nicht nur
ein Fanal ist dieses Buch, sondern vor allem bietet Hofstetter Erläuterungen,
wie das funktioniert und beschreibt plastisch, wie das, im schlechtesten oder im
besten Falle, sich weiter entwickeln könnte. Dass die Welt zum Computer wird,
wie weit die politischen Technologien (Nudger) bereits fortgeschritten ist,
wieweit eine Demokratie, ein Staat bereits "digital gesteuert" werden
kann. Ganz hervorragend dann, auf der Basis des vermittelnden Wissens, bringt
Hofstetter die genauen Abläufe in Form von "Simulationen" vor die
Augen, die über ein "Wegbrechen Frankreichs" aus der Eurozone den
weiteren Verlauf einer möglichen europäischen Geschichte bis ins Jahr 2025
(unter Mitaufnahme der Veränderungen der Arbeitswelt) drastisch vor Augen
führt.
Grundlegende Informationen, praktische "Simulationen", präzise,
konkret, fundiert und aufrüttelnd, so verbleibt Hofstetter am Ende mit
eigentlich alten, traditionellen, teuer erkauften Werten und Grundlagen der
Demokratie, die drohen, verloren zu gehen und daher immer wieder benannt werden
müssen: Dass die Politik den Primat vor der Wirtschaft haben muss (ein
Verhältnis, dass immer bereits unter Reibung und Revierkämpfen stand und
steht). Dass die Grundrechte der Person geschützt werden müssen, auch auf ganz
neuen Wegen, denn ansonsten erleidet die Demokratie unabwendbaren Schaden. Und
wie das Zusammengehen könnte? Damit endet Hofstetter und bietet vielfache
Anregungen zur weiteren Diskussion und, vor allem, zu Taten und Regulierungen,
die jetzt bereits schon länger überfällig sind.
Fazit
"Denn was wir nicht selbst entscheiden, entscheidet der Computer". Das
ist die reale Alternative, die in keiner Weise ignoriert oder gar verniedlicht
werden sollte. Denn je mehr dies voranschreitet, desto geringer werden die
echten persönlichen Freiheiten (auch wenn man das gar nicht merkt zunächs).
Eine hervorragende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 25. Oktober 2016 2016-10-25 14:36:33