Auf der Suche
Es trifft sicherlich zu, dass das Leben ein merk-würdiger Ort ist, in so gut
wie jedem Sinne des Ausdrucks. Vor allem aber trifft zu, dass Aaron Eklund ein
merkwürdiges Leben, vor allem in jungen Jahren; erlebt hat. Und dass er auch in
der Gegenwart des Romans weit entfernt davon ist, ein "normales" Leben
zu leben (was aber doch lange Jahre, Jahrzehnte gelebt wurde, in der Zeit; bevor
der Roman beginnt). Zum einen handelt er nicht "normal", sondern eher
merkwürdig, zum anderen geschehen ihm nicht alltägliche,
"merkwürdige" Erlebnisse auf seiner Odyssee zu sich selbst, auf der
Suche nach dem, was damals wirklich passiert ist. Als sein Vater plötzlich
starb. Als die Mutter quasi über Nacht sich davonmachte, auch aus seinem damals
jungen Leben.
Und auch jetzt, man nehme nur die Szene in diesem kleinen Motel mit den lauten
Schreien aus einem der Nebenzimmer, alltäglich, normal ist das nicht, was ihm
begegnet. Bis zum Schluss nicht, als er George kennenlernt, der bei der U-Bahn
arbeitet und mit dem Aaron nicht klar sein wird, wohin die Reise gehen könnte.
Oder ob es eine Reise gäbe. Wie so oft in seinem Leben, in dem wenig gesteuert,
geplant wirkt, sondern vielfach Wendungen eintraten, auf die Aaron mit einer
seltsamen Mischung aus Fatalismus und Interesse einfach nur reagiert hat.
Wie bei diesem Angeln, bei dem ihm Walter begegnete und mit diesem eine
langjährige Beziehung als "Ehepaar" folgte. Die sich zu Beginn des
Romans ebenso merkwürdig emotionslos von beiden Seiten her gerade auflöst, wie
Aaron an sich all den Dingen des Lebens und auch sich selbst eher lakonisch
begegnet.
""Ich habe dich gerettet, Aaron", sagte er schließlich".
"Ja, das hast du. Danke".
Seltsame letzte Worte einer langen Beziehung, seltsam obwohl Aaron ja immer ein
Außenseiter war, einer, der anders war, lebte, anderes erlebt hatte, als es dem
Durchschnitt entspricht. Ein Anderssein mit Folgen und Ursachen, denen Ostlund
mit ihrem sehr vielfältigen, breiten Sprachschatz nachgeht. Bei dem sie tief in
die Seele ihres Protagonisten blicken lässt und das weniger durch endlose
Reflexionen im Sinne von Monologen, sondern viel mehr in der genauen Zeichnung
dessen, wie dieser Aaron handelt und reagiert. Was einen großen Reiz zum
Weiterlesen ausübt, was diese Fremdheit, dieses "anders sein" mit
Spannung versieht und den Leser motiviert, mit zu ergründen, was zu Zeiten
wirklich geschehen ist und ob Aaron jemals bei sich selbst ankommen wird.
"beim Wort "gerettet" zitterte seine Stimme. Es war fast, als
hätte er sein ganzes Leben lang darauf gewartet, diesen Jungen retten zu
können".
Wunderbar versteht sich Ostlund dabei darauf, auch mit ihrer Erzählweise
zugleich emotionale Distanz zu vermitteln, als auch dennoch dem Leser (eher wie
durch ein Schaufenster denn als direktes Erleben) die emotionalen Sehnsüchte
und Tiefen Aarons zu vermitteln. Schwul, dramatische Kindheit und Jugend, immer
mit dieser Distanz zum Leben, zu anderen, zum Geschehen versehen, die sich wohl
aufbaut, wenn man so "anders" fühlt und schon durch die sexuelle
Orientierung sich als "anders" vor die Augen der anderen stellt.
"Merkst du gar nicht, wie sehr er dich liebt"?
"Nein".
Ein Roman einer Reise zu äußeren Stationen mit außergewöhnlichen
"Outsider-Erlebnissen" und doch vor allem eine innere Reise zu sich
selbst und der eigenen Prägung, die sprachlich hervorragend umgesetzt bis zur
letzten Seite fesselt. Und die, bei allem "anders sein" des
Protagonisten, eines für jeden Leser (noch einmal) in aller Deutlichkeit in
sich trägt:
"Er hatte keine Ahnung, was passieren würde. Aber so war das Leben"
In dem es oft anders kommt, als man denkt. Was in diesem Roman bei diesem Aaron
auf die Spitze getrieben dem Leser vor Augen gestellt wird. Und damit die
Risiken des Lebens beleuchtet, aber eben auch verdeutlicht, dass die Lebenswege
ergebnisoffen sind und das Leben ganz handfest gelebt werden will und gelebt
werden kann.
Fazit
Ein anregende, interessante, im Ton ungewöhnliche und existenzialistisch
treffende Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
[Profil]
veröffentlicht am 21. September 2016 2016-09-21 10:49:08