März 1927: Nina Norge überdiedelt nach Danzig, um dort als Ärztin in der
Praxis ihres Onkels zu arbeiten. Nina, die, "solange sie zurückdenken
konnte, fest entschlossen war, Ärztin zu werden", war zuvor im
Landeskrankenhaus Wien als Assistenzärztin tätig; in dieser Stadt begegnet sie
Sigmund Freud, besucht seine Vorlesungen, liest alles, was er je
veröffentlichte, und "hätte sie das Geld gehabt, wäre sie sofort seine
Patientin und Schülerin geworden". Einmal nimmt sie ihren Mut zusammen,
spricht Freud nach Vorlesung an, er entdeckt in ihr eine begabte Schülerin, und
sie lernt dessen Haus und Familie in der Wiener Berggasse kennen; in Danzig
hält sie regen Briefkontakt mit Freud; dessen Theorie der Psychoanalyse ihr bei
ihrem ersten großen "Fall", Almut Levendiek, hilft. Almut leidet,
seitdem ihr Verlobter tödlich vom Pferd stürzte, unter, so lautet Ninas
Diagnose, "Depressionen"; für die Behandlung sieht Nina folgendes
vor: "Wir werden einfach miteinander sprechen. Wir sprechen über Ihre
Träume". Kurz, nachdem sich erste Verbesserungen im Zustand Almuts
andeuten, wird Greta, 17 Jahre jung, "das Mädchen für alles" bei
Levendieks, ermordet; unmittelbar verschwindet Almut, und gerät damit unter
Mordverdacht; die Untersuchungen zu diesen beiden Vorfällen bestimmen die
zweite Hälfte des Romans. Dabei werden zwei Personen besonders wichtig:
Charlottte, die jüngere Schwester Almuts, zugleich verschlossen und explosiv,
patzig und verträumt, frühreif und unschludig wie Konfitüre; "hysterisch
und frech", wie ihr Vater Gustav sie nennt; und
Peter Jordan, seit kurzer Zeit "Kriminalkommissar bei der Polizeidirektion
des Freistaates Danzig", der "mit der zukunfstweisenden Aufgabe
betraut ist, in Danzig einen Mordinspektion nach dem Berliner Vorbild
aufzubauen". Jordan hat nicht zuletzt seines Namens wegen mit
anschwellendem Antisemitismus zu kämpfen; Nina muss sich als Ärztin behaupten,
denn 1927 war, wenn man das so sagen kann, ein Arzt noch ein Mann; Jordan nutzt
bei der Aufklärung der Fälle neueste kriminalistische Methoden; sie orientiert
sich an den Prämissen des bis heute umstrittenen Sigmund Freud. Nina und Jordan
sind sich bereits im Zug, Strecke Berlin-Danzig, begegnet, und treffen nun als
Hausärztin und Untersuchungsleiter wieder aufeinander; dieser Zufall hat die
schönsten Konsequenzen - Jordan verliebt sich in Nina ("Er wollte sie
heiraten, schlicht und einfach. Jetzt, wo erschon geglaubt hatte, sie nie mehr
zu finden, stand sie plötzlich vor ihm: Die Frau, mit der er leben
wollte"), in Nina erblüht eine große Sehnsucht nach ihm, zögert jedoch,
denn "sie war nicht zum Heiraten geschaffen. Sie liebte ihren Beruf. Was
war daran so schlimm? Anders konnte man ihn vielleicht gar nicht
ausüben.".
Fazit
"Die Spur der Träume", ein exzellenter Kriminalroman samt
Liebesgeschichte, Danziger Coleur und - was sonst? - unerwartetem Ende.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
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veröffentlicht am 12. März 2004 2004-03-12 20:16:43