Nach der Geburt des kleinen Bruders Jake bleibt Leons Mutter eines Tages einfach
im Bett liegen. Der Neunjährige betreut das Baby so gut er es schafft und immer
öfter passt die Nachbarin Tina auf die Kinder auf. Bei Tina gelten Regeln, z.B.
wird dort nicht vor dem Fernseher gegessen. Schon nach Leons Geburt wurde seiner
alleinerziehenden Mutter Carol alles zu viel. Später wird man herausfinden,
dass sie unter einer Persönlichkeitsstörung leidet und eine familiäre
Vorbelastung für Depressionen hat. Leon ist das Kind einer unzuverlässigen
Mutter und eines abwesenden Vaters. Mit dem Desinteresse von Jakes Vater an
seinem Sohn erlebt Leon erneut die Ablehnung seines eigenen Vaters und
flüchtet sich bald in eine Phantasiewelt von Action-Figuren. Schließlich
findet das blonde Baby Adoptiveltern; ältere, dunkelhäutige Kinder gelten als
nicht vermittelbar. Der Junge, dessen Vater aus der Karibik stammt, kommt zur
Pflegemutter Maureen. Maureen hält nichts davon, Geschwister zu trennen, aber
eine Pflegemutter wird von Behörden nicht nach ihrer Meinung gefragt. Die
leibliche Mutter besucht Leon nicht, redet sich immer wieder heraus. Für die
herzensgute Maureen ist es deshalb nicht leicht, sich Leons Mutter gegenüber
loyal zu verhalten. Warum ein so pflegeleichtes Kind wie er so schlecht
behandelt wird, ist für Leon unverständlich. Die Gedanken des Jungen fügen
sich auf dem Titelbild zu einer gewaltigen schwarzen Wolke zusammen. Die
Erwachsenen halten eine Fassade aufrecht, hinter geschlossenen Türen wird über
Leon getuschelt. Den Text zwischen den Zeilen, die Heuchelei der Erwachsenen
bekommt er dennoch mit. Einige der Satzfetzen geraten bei ihm jedoch in den
falschen Hals - mit fatalen Folgen.
Als Maureen schwer erkrankt, sorgt kurzfristig ihre Schwester Sylvia für Leon,
die in einem anderen Stadtviertel wohnt. Sylvia kann sich verblüffend gut in
den Jungen einfühlen; beide Frauen sind mit den Problemen jedoch überfordert.
Im neuen Stadtteil gibt es mehr Schwarze und Inder als Leon zuvor gesehen hat.
Leon lernt Tufty kennen, einen älteren Schwarzen und dessen dunkelhäutige
Freunde. In Tuftys Schrebergartenkolonie öffnet sich für Leon eine völlig
neue Welt. Von Tufty lernt der Junge, sich mit Säen und Gießen zuverlässig um
etwas Lebendes zu kümmern. Männliche Bezugspersonen fördern den Jungen,
vermitteln ihm eine Ahnung von der Identität Farbiger. In der Gartenkolonie
hört Leon zum ersten Mal den Begriff "Wir Schwarzen" (... müssen uns
organisieren). Er wird mit den Erwachsenenangelegenheiten von Männern
konfrontiert, die Probleme mit der Polizei haben, und erlebt bei
Straßenkrawallen ein schockierendes Maß an Gewalt.
Als Leons Pflegemutter ausfällt, reißt das ohnehin schwache soziale Netz,
auch wenn einzelne Bezugspersonen warmherzig und menschlich handeln. In der
Kleingartenkolonie erlebt der Junge Verlässlichkeit und ungewohnte Zuwendung.
Seine selbst gefundene Wahlfamilie ist tragischerweise nicht das, was sich
Behörden als geeignet für ein Kind vorstellen. Die Unsicherheit, welchen
Einfluss Tuftys Clique wohl auf den Jungen haben wird, überträgt sich bis auf
den Leser des Romans. Immer noch auf der Suche nach seinem Bruder Jake, ersinnt
Leon einen nicht ungefährlichen Plan. Voller Verständnis, dass Leon endlich
selbst über sein Leben bestimmen will, ahnt man, dass Leons Eskapaden bei einem
Pflegekind nicht geduldet werden, dessen Schicksal von Behörden bestimmt wird.
Fazit
Kit de Waal, die Schwägerin Edmund de Waals und selbst Tochter eines Vaters
karibischer Herkunft, legt hier einen spannenden, überaus berührenden Roman
vor über zwei Brüder, für die das soziale Netz zu schwach gewebt ist.
Vorgeschlagen von Helga Buss
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veröffentlicht am 29. Mai 2016 2016-05-29 14:06:27