Posthumus zum Zweiten
Nahtlos knüpft der neue Kriminalroman von Britta Bolt um ihren
"merk-würdigen" Amsterdamer Ermittler Pieter Posthumus an die
Atmosphäre des vorhergehenden Erstlingswerkes an. Noch immer lebt Posthums in
"seinem Viertel", dieses Grenzgebiet zwischen "normalem"
Leben in Amsterdam, Touristenzentrum und angrenzendem Rotlichtmilieu. Und
weiterhin schlägt sein Herz (allerdings nicht ständig offen für jeden
ersichtlich) für Anna, die Betreiberin seiner Stammkneipt, "Der dolle
Hund", in dem sich jeden Sonntag mit Kuchen und Kaffee die Nachbarschaft
wie im eigenen Wohnzimmer trifft. In diesen Räumen beginnt der Roman zudem und
zeigt damit bereits auf, dass die altehrwürdige Gaststätte der räumliche
Mittelpunkt allen Geschehens letztendlich ist.
Und ebenso umgehend geschieht das brutale, unfassbare Verbrechen, dass die herbe
Beschaulichkeit des Viertels erschüttert. In der benachbarten Pension, in
welcher Marloe seit Jahr und Tag gestrandeten jungen Menschen eine Bleibe gibt
und eine Perspektive versucht, mit auf den Weg zu geben, wird einer der jungen
Männer, ein ehemaliger Stricher, blutüberströmt und tot in seinem Zimmer
aufgefunden. Was vor allem Marloe völlig aus der Balance bringt (wozu aber
nicht viel gehört, kennt man sie erst einmal näher).
Posthumus ist als erster vor Ort, kann gar nicht anders, als seinen Blick
gründlich schweifen zu lassen, beschließt über Nacht dann aber, es nicht mehr
"falsch" anzugehen, wie beim letzten Mal, sondern der Polizei die
Arbeit zu überlassen. Ein ehrlicher gemeinter, aber frommer Wunsch, als die
Dinge eskalieren und zunächst Marloe verhaftet wird. Monate später kommt es
zum Prozess, da wird Posthumus gar nicht anders können, als einzugreifen, denn
für ihn sind all diese Leute Familie und nicht nur irgendwelche zufälligen
Nachbarn.
Eine Entscheidung, sich dem Fall zuzuwenden, die Gefahr in sich trägt, wie
Posthumus bald bereits merken wird. Neben den sehr besonderen, liebevoll und mit
vielfachen Schattierungen gestalteten Personen des Romans spielt der Ort selbst
eine mindestens ebenso wichtige und gewichtige "Hauptrolle". Bolt
versteht es ganz ausgezeichnet, die Straßen, Wege, Gebäude und Zimmer zu
beschreiben und ebenso der aktuellen Atmosphäre eine Stimme zu geben.
Veränderungen, Modernisierungen, der Kampf um den Bestand des eigenen, kleinen
Geschäftes so mancher Anwohner, all dies findet Platz und wird breit, aber
nicht den Fluss der Geschichte störend oder sich aufdrängend, beschrieben. Ein
Stil, der den Leser mitten hinein nimmt in diesen Ort, in diesen ruhige
erzählten Fluss der Ereignisse.
"Ich wollte nur sagen, dass Amsterdam schon immer seine dunklen Ecken
hatte. Aber das ist eine Stärke. Was da auf De Wallen versucht wird, ist Teil
eines größeren Vorhabens aus Amsterdam eine sterile Stadt zu machen - schön
sauber, nett und aufgeräumt". Wie scheinbar heutzutage alles sauber und
ordentlich zu sein oder dringend zu werden hat.
Fazit
Ein kluger Fall, ein Ausgeprägtes Lokalkolorit und differenzierte, durchaus
auch gebrochene Figuren machen auch den zweite Fall des Pieter Posthumus zu
einer empfehlenswerten Lektüre.
Vorgeschlagen von Lesefreund
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veröffentlicht am 11. April 2016 2016-04-11 17:20:01