Der vorliegende Band "Die deutschen Kanzler", zuletzt aktualisiert
1998, enthält biographische Portraits der deutschen Kanzler von Bismarck bis
Kohl. Jeder Kanzler wird von einem ausgewiesenen Kenner portraitiert, wobei
insbesondere Rudolf Augsteins Bismarck-Portrait,
Fritz Fischers Darstellung Bethmann
Hollwegs, des "rätselhaften Kanzlers" faszinieren. Viele heutzutage
schon vergessene Kanzler, etwa Graf Hertling, Gustav Bauer etc. werden
portraitiert. Sehr gelungen auch das Portrait Gustav Stresemanns aus der Feder
des Herausgebers Wilhelm von Sternburg und Detlef Junkers Portrait von Brüning,
des ersten Präsidialkanzlers der Weimarer Republik von 1930-1932. Kurz, jedem
historisch Interessierten, dem sich - wie mir - Geschichte durch Biographien
erschließt, ist dieser Band zu empfehlen. Er ist wesentlich besser als Marion
Gräfin Dönhoffs "Deutschland, deine Kanzler", da hier mehrere
ausgewiesene Fachhistoriker den Kanzler, mit dem sie sich am meisten
beschäftigt haben, portraitieren. Das düsterste Portrait ist natürlich
dasjenige Hitlers aus der Feder
Joachim Fests. Bei den
Bundeskanzlern, die uns näherstehen, fallen parteipolitische Wertungen auf. So
ist Weidenfels Adenauer-Portrait sehr sympathisch. Er habe seine Ziele
verwirklichen können und sei von seltener Souveranität gewesen. Auch die
Portraits der sozialdemokratischen Kanzler Brandt und Schmidt werden von engen
Weggefährten bzw. Bewunderern geschrieben. Brandt wird von seinem
Redenschreiber Klaus Harprecht äußerst wohlwollend portraitiert. Der
"Macher" Helmut Schmidt von Zeit-Herausgeber Sommer als "Mann der
Stunde" bezeichnet, der sich "um das Vaterland verdient gemacht
habe". Jürgen Leinemanns Portrait von Helmut Kohl dagegen ist eher
kritisch-distanziert abgefasst, wobei Kohl zum Zeitpunkt des Erscheinens des
Buches noch im Amt gewesen ist. Dennoch erschließt sich in ungeahnter Art und
Weise sehr plastisch die deutsche Geschichte von 1871 bis 1998, wobei natürlich
3 Portraits fehlen, nämlich die der wirklich mächtigsten Männer ihrer Zeit:
der beiden Hohenzollern-Kaiser Wilhelm I. und Wilhelm II. (den nur 3 Monate im
Amt befindlichen Friedrich III. spare ich hier aus). Außerdem wäre natürlich
ein Portrait des zweiten Reichspräsidenten Weimars, Paul von Hindenburg,
angebracht gewesen. Leider sind aber nur die Regierungschefs portraitiert, auch
wenn sie bis 1945 weniger Machtbefugnisse hatten als die Staatsoberhäupter.
Ebert und Hitler finden sich nur deshalb in der Liste, weil sie beide auch
Reichskanzler gewesen sind: Ebert zwischen 1918 und 1919 vor seiner Wahl zum
ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik, Hitler, weil er Reichskanzler
war und erst nach Hindenburgs Tod im August 1934 auch Staatsoberhaupt wurde.
Insofern sind die Portraits, so lesenswert sie sind, in dieser Hinsicht
unvollständig. Vielleicht kann dies bei einer Neuauflage korrigiert werden.
Insgesamt nicht nur "ein lesenswertes Buch", wie die Westdeutsche
Allgemeine bilanziert, sondern ein faszinierendes Lesebuch über 100 Jahre
deutsche Geschichte, deren Höhen und Tiefen anhand der Biographien
"erlebbar" werden.
Fazit
Ein sehr interessantes, informatives und sehr gutes Buch für jeden
Geschichtsinteressierten.
Vorgeschlagen von Bernhard Nowak
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veröffentlicht am 23. Februar 2004 2004-02-23 21:41:13