Sehr gutes Buch. Erzählt wird die Geschichte David Zimmers, dessen Familie, d.
h. seine Frau und die beiden gemeinsamen Kinder, tödlich verunglückt ist.
Zimmer verkraftet diesen schlagartigen Verlust nicht, er droht dem Alkohol zu
verfallen. Sein Leben nimmt erst wieder Sinn an, als er, Professor für
vergleichende Literaturwissenschaft, sich mit Hector Mann beschäftigt, der als
letzter Slapstick-Komiker der 20er Jahre, in denen er auch unauffindbar
verschwindet, gilt. Mann wird für Zimmer Passion, Mann gibt Zimmer Halt,
Beschäftigung, Ziele, und dieser bastelt nun an "Die stumme Welt des
Hector Mann", ein, wie es heißt, "Werk über seine Filme, keine
Biografie". In sagenhaften 9 Monaten stellt er das Buch fertig. So weit, so
einfach. Ab jetzt wird der Leser in wild oder zart, wilkürlich oder konsequent
miteinander verwobene Geschichten eingeschachtelt. Den beunruhigenden Rahmen
liefert dabei die Arbeit an eben jener Biografie, die mal "fertig",
mal "unfertig", einmal am Ende und immer wieder neue, ungeahnte
Anfänge nimmt. Verunsichert, zugleich angeregt in seiner Phantasie dürfte ein
Leser schon nach den einleitenden Sätzen des Buches sein, "Alle dachten,
er sei tot. Als 1988 mein Buch über seine Filme erschien, hatte man von Hector
Mann seit fast sechzig Jahren nicht mehr gehört.". Aber zurück. Zimmer
bekommt einen Brief, mit "einem kaum noch spürbaren Duft von
Lavendelwasser": "Sehr geehrter Professor Zimmer, Hector hat Ihr Buch
gelesen und würde sie gerne kennen lernen. Haben Sie Interesse, ihn zu
besuchen? Hochachtungsvoll, Frieda Spelling (Mrs. Hector Mann)". Viele
bizarre Umwege, und zwölf Mann-Filme, verstreut in Europa und den USA, und eine
lauwarme Liebesbeziehung des Protagonisten mit Alma, der Gesandten Hectors, die
wiederum in den schrillen Lebens-Schaffens-Film-Kosmos des Hector Mann
meilenweit besser eingeweiht als Zimmer, später, gelingt das Zimmer. Nun
beginnt der dritte und letzte Teil der Geschichte: Zimmers Aufenthalt auf dem
Land- und Produktionsgut Manns.
Fazit
Beeindruckt hat mich am "Buch der Illusionen" besonders die
gegenseitige, groteske Abhängigkeit Zimmers und Manns; zwar führen beide eine
unwirkliche Existenz, jener im Andenken an seine Familie, dieser in
selbstgewähltem, extremen Kunstdasein ("Soweit ich weiß, ist Hector der
erste Künstler, der seine Werke in der bewussten, vorher festgelegten Absicht
produziert, sie wieder zu vernichten[...]Die Filme waren im Geheimen auf die
Welt gekommen und sollten auch im Geheimen wieder verschwinden"), doch
dient ihnen dieses Aneinanderhängen als Schritt zurück ins Leben. Paul Auster
hat ein Buch geschrieben, sehr unterhaltsam, überaus intelligent und
mitreißend schön, einen Liebes-, Rätsel-, Kunst- und Philosophieroman.
Vorgeschlagen von Paul Niemeyer
[Profil]
veröffentlicht am 18. Februar 2004 2004-02-18 20:19:29