Ein anderes Leben beginnt, als die junge Sarah Elise ihren ersten epileptischen
Anfall erleidet. Ein anderes Leben hätte sowieso begonnen - jetzt, nachdem sie
ihre Schule absolviert hatte und voller Neugierde und Enthusiasmus ins
verheißungsvolle Leben starten wollte. Aber wie fremd, bedrückend und
angsteinflößend war der Schlund, in den sie nun stattdessen hineingezogen
wurde. Epilepsie - das Wort hatte man schon gehört, irgendwie schien es nicht
gesellschaftsfähig zu sein und war verkapselt in einer Aura von Nichtwissen und
Berührungsangst. Und jetzt plötzlich war es ganz nah', man gehörte dazu und
war dieser unberechenbaren Spontanität erniedrigender und sogar
lebensbedrohender Hirnaktivität ausgesetzt, die eigener Steuerung entglitten
war. Zuerst musste das Begreifen kommen, das Verinnerlichen dieser Tatsache und
dann das Einnehmen einer Position, das Finden des eigenen Platzes in diesem
neuen, anderen Dasein. Erst dann beginnt das Leben mit der Behinderung - ganz
gleich, wie sie sich auch immer darstellt, welche Anforderungen sie auch an uns
stellt, wenn sie ins Leben mit eingebaut werden muss.
Und hier trifft der Leser auf Sarah Elise in einem wunderbar berührenden Roman
voller Kraft und Humor - voller Ängste und Einsamkeit in den schwarzen
Panther-Momenten, aber auch lichtdurchflutet in den Augenblicken der
Freundschaft und der Tag-Träume, die der Seele Heilung bringen. Die junge Frau
lässt den Leser in überraschend offenherziger Weise an den Belastungen
teilhaben, die diese Erkrankung ihr auferlegt. Wir erleben Diskriminierung und
Unverständnis, Bürokratie und gleichgültiges Abwenden aber ebenso
freundschaftliche Hingabe, Zuwendung und intensive Fürsorge für einen
geliebten Menschen. Diese große Palette menschlicher Gefühle vereint die
Autorin in ihrem Buch, das sofort Einlass ins Herz des Lesers erhält und ihn
erstaunt sein lässt über soviel Tapferkeit und Lebensfreude. Man spürt sehr
wohl die dunklen Momente, in denen die junge Frau eine Gratwanderung macht, in
denen ein Quentchen "mehr" absolut zuviel sein würde und man ist
glücklich, wenn wieder einmal die drohende Schattenseite überwunden ist. Aber
man weiß auch, dass da ein Gegner ist, der keine Schwäche duldet, in einem
Kampf, der immer wieder gewonnen werden muss, und man wünscht von ganzem
Herzen, dass Willenskraft und Liebe zum Leben den Sieg davon tragen. Sarah
Elises Buch ist für mich so persönlich und intim, dass ich während des Lesens
das Gefühl hatte, sie bäte mich um meine Freundschaft - und sehr glücklich
sagte ich "Ja".
Fazit
Ich denke, eine Leseempfehlung muss ich nicht mehr aussprechen, das Buch liest
sich wunderbar und wäre vielleicht sogar ein bisschen hilfreich, wenn es darum
geht, Aufklärung und Verständnis für ein Thema zu bewirken, das immer noch
tabuisiert durch die Gedanken irrt. Ein außergewöhnliches Leben durch
Epilepsie - ich glaube, das ist es geworden. Ein zartfühlendes, kraftvolles
Buch, beeindruckend und mutig.
Vorgeschlagen von brillenbaby
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veröffentlicht am 06. Mai 2015 2015-05-06 21:47:13