Voller Skepsis hatte ich gelesen, dass sich der CDU-Bundestagsabgeordnete
Hohmann, inzwischen wegen seiner Äußerungen aus der Bundestagsfraktion
ausgeschlossen, in seiner in den "Blättern für deutsche und
internationale Politik" 1/04 publizierten Rede, die zu seinem Ausschluss
führte, auf das vorliegende Buch von Rogalla von Bieberstein bezog. Ich war
skeptisch: sollten damit die nationalsozialistischen Untaten relativiert werden,
wie es Professor Ernst Nolte im sogenannten Historiker-Streit vorgeworfen wurde,
der das Vorwort zu diesem Buch geschrieben hat.
Glücklicherweise haben sich meine Befürchtungen nicht bewahrheitet. Rogalla
von Bieberstein geht der Frage nach, warum so viele jüdische Intellektuelle
sich der kommunistischen Ideologie anschlossen und die Gewalt der Kommunisten,
die in diesem Buch, ähnlich wie in dem "Schwarzbuch des Kommunismus"
detailliert nachgezeichnet wird, gebilligt haben (als Beispiele seien etwa Rosa
Luxemburg, Georg Lukasz, Leo Trotzki, Felix Dzerschinski benannt). Detailliert
vertritt der Autor, der seinen Lebensweg und seine Motivation für die
vorliegende Studie genau beschreibt, in Anlehnung an Isaac B. Singer die These,
es habe eine Art "Teufelskreis", eine Spirale der Angst gegeben. Die
Juden, Außenseiter in der bürgerlichen Gesellschaft, hätten den Hass, der
ihnen entgegenschlug, gespürt und sich linken Parteien verschrieben, die eine
gewaltsame Änderung der bestehenden Gesellschaft, des bürgerlichen
"Kapitalismus", erstrebt hätten. Der jüdische Chiliasmus und
Messianismus habe ebenfalls zu dieser Wendung beigetragen. Dies wiederum führte
auf der Seite des Bürgertums zu starkem Antisemitismus, der unter den
Nationalsozialismus in Judenverfolgung und Holocaust ausgeartet sei. Diese These
wird anhand zahlreicher Fußnoten, überwiegend von Sekundärliteratur,
ausführlich begründet. Eine Kollektivschuldthese lehnt der Autor ab. Das Buch
hat das Verdienst, den Antisemitismus vieler Kreise des Bürgertums erklärbar -
nicht verständlich!!!! - zu machen. Außerdem bietet das Buch interessante
Einblicke in die Geschichte des Kommunismus, die Verfolgungen Andersdenkender
nach der Revolution 1917 bereits unter Lenin und die Geschichte der Verfolgungen
- auch jüdischer - Kommunisten unter Stalin ab den 1930-ger Jahren. Die
Grausamkeiten der kommunistischen Verfolgungen hat gerade wieder Alexander
Jakowlew, der "Vater der Perestroika" in seinen kürzlich vorgelegten
Memoiren bestätigt. Sie
werden auch von Michail Voslensky in seinem Buch "Sterbliche Götter",
dem "Schwarzbuch des Kommunismus" / hrsg. von St. Courtois und anderen
und auch von Dimitri Wolkogonow in seinem Buch "
Die sieben Führer"
bestätigt.
Johannes Rogalla von Bieberstein hat ausdrücklich dargelegt, dass es ihm um
Verstehen und Verständnis der Ursachen des Antisemitismus und nicht um
Verharmlosung oder gar Aufrechnung mit diesem geht. Aber es bleibt richtig, dass
ohne die russische Revolution von 1917 es nicht die Angst vor den Kommunisten im
Bürgertum, insbesondere in Deutschland, gegeben hätte und es war die Angst vor
der Machtübernahme durch die Kommunisten, die - stärker als der
Antisemitismus, den Nationalsozialisten Wählermassen brachte, als nach
Zusammenbruch des Krieges und Inflation der demokratische Staat von Weimar durch
die Weltwirtschaftskrise stärker getroffen wurde als die anderen
westeuropäischen Staaten. Insofern ist der Nationalsozialismus als Bewegung
ohne den Kommunismus und die russische Revolution nicht vorstellbar. Dass Hass
und Intoleranz im "Jahrhundert der Ideologien" (Karl-Dietrich Bracher)
zu Gewalt und Gegengewalt führten, dies ist die Lehre des fürchterlichen 20.
Jahrhunderts. Zur Klärung einer dieser Fragen, der Attraktivität des
Kommunismus für zahlreiche jüdische Intellektuelle, trägt Johanna von
Biebersteins Buch bei, wenn dessen Thesen insgesamt auch nicht neu sind, sondern
schon von Sonja Margolina oder Richard Pipes vorgetragen und belegt worden sind.